Die Chronistin
Lehrers.«
Kurz glomm in Théodores Augen jener Trotz auf, der ihm seinerzeit ins Gesicht geschrieben stand, als er das große Schwert zu halten trachtete und plärrte, er wolle Ritter werden.
»Nun gut«, meinte er, »ist’s nicht zu ergründen, welcher Natur Euer Vermögen ist. Allein, wenn ich es hätte, ich würd’s nicht nutzen, um Gottes Wesen zu ergründen. Oft wär’s mir lieber, ich könnte Menschen heilen... so wie Ihr es doch auch tut.«
»Ach was!«, gab Sophia zurück. »Die Theologie ist die Königin der Wissenschaften. Du solltest keiner geringeren dienen.«
Erneut glomm es in Théodores Augen auf – und er blieb dabei, einen eigenen Willen zu haben.
»Ist es aber nicht nützlicher, kranken Knaben wie mir rechtzeitig das Bein einzurenken?«, bohrte er. »Dann müsste ich nicht humpelnd durchs Leben gehen...«
»Ach was!«, schimpfte sie ein zweites Mal. »Wenn du erst so viel weißt wie ich, kannst du selbst Beschlüsse fassen. Bis dahin entscheide ich über dein Geschick. Und wenn es dir nicht passt, so geh in den Hof und fuchtele dort mit dem übergroßen Schwert deines Vaters, bis es dich zu Tode bringt.«
Mit heftiger Handbewegung unterstrich sie, dass das Gespräch für sie beendet war und sie nicht länger möglichen Einspruch hören wollte.
Zu Beginn des neuen Jahres, kurz vor dem Paulstag, schritt sie wieder zum Königspalast. Zwei Wochen hatte sie Frère Guérin nicht gesehen – und jener sie bis heute nicht zu sich gebeten. Freilich wähnte sie sich sicher, dass ihre Vertraulichkeit genug gereift wäre, auf dass sie von sich aus seine Gesellschaft fordern könnte.
Die frostige Kälte biss wie Ungeziefer in alle Glieder; die dünne, glasige Eisschicht auf der Seine hatte sich an manchen Stellen zu Schollen gewandelt, die im grauen Wasser trieben. War sonst der Hauptraum jedes Hauses zur Straße hin geöffnet, sodass die vorbeistreunenden Nachbarn nicht nur in die Werkstatt spähen konnten, wo Leinen gewebt, Leder gegerbt und Schuhe genagelt wurden, sondern auch beobachten, wie der Hausherr sein Weib verdrosch und jenes den unnützen Gesellen mit dem Inhalt des Nachttopfes übergoss, hatte man heute alle Luken mit schweren braunen Balken geschlossen. Spitze, farblose Eiszapfen wuchsen daran.
Warmer Hauch stieg von Sophias Mund auf, Paris deuchte sie nicht nur winterlich still, sondern wie ausgestorben. Selbst von den lebhaften Seinebrücken, unter deren steinernen Bögen auf Schiffen oder Pontons gebaute Flussmühlen hingen, tönte kein Laut. Weder wurde Getreide angeliefert noch Mehl abgeholt. Und auch die Boote der Weinhändler, die mit ihren Fässern auf und ab fuhren und ihre Ware anpriesen, vermochten heute nicht, die vereisten, schlammigen Fluten zu durchkreuzen.
Doch am meisten erstaunte der einzige Laut, der die Stille durchbrach – der Klang der Glocken, den alle Kirchen gleichzeitig anzustimmen schienen: Saint-Mathurin, Saint-Séverin und Saint-Benoît, desgleichen jene der Abteien Saint-Victor und Sainte-Geneviève. Sophia blickte verwundert hoch: Es war dies nicht die übliche Zeit des Tages, da man die Menschen zur Messe rief.
»Wisst Ihr, warum die Glocken so lange läuten?«, fragte sie jenen Mann, der ihr für gewöhnlich den Weg zu Frère Guérin wies.
Jener stand frierend – die Härchen, die dunkel aus Nase und Ohren wuchsen, hielten kleine Eiströpfchen.
»Frère Guérin empfängt Euch nicht«, erklärte er dumpf. »Und die Glocken läuten eben zum letzten Mal für lange Zeit. Gott möge unsere armen Seelen schützen. Der Papst hat uns verflucht – Frankreich ist seit heute dem Wirken des Widersachers preisgegeben!«
Aus der Chronik
Ganz Europa wusste das Interdikt zu deuten: Indem er den stauferfreundlichen Philippe derart gängelte, hatte der Papst ein Zeichen gesetzt, dass er den Welfen Otto als deutschen Kaiser für würdig befand.
Die Bischöfe von Paris, Sens, Soissons, Amiens und Arras beugten sich sofort dem Papst – jene von Auxerre, Beauvais, Meaux, Chartres und Orléans suchten es anfangs zu vermeiden, fühlten sich aber dem Stuhl Petri letztlich mehr verpflichtet als ihrem König.
Keine Messe wurde mehr gelesen – weder in der kleinsten Dorfkirche in der Champagne, noch in der mächtigen Abtei Saint Denis, die über den Gebeinen des Märtyrers Dionysius errichtet worden war.
Als Philippe seinen Sohn – den Dauphin Louis – mit der Prinzessin Blanche von Kastilien, der Tochter von Alfons VII., verheiratete – es war dies Teil des
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