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Die Chronolithen

Die Chronolithen

Titel: Die Chronolithen Kostenlos Bücher Online Lesen
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mehr.«
    »Verdammt steil.«
    »Hast du eine bessere Idee?«
    Also bog ich von der Straße ab, fuhr über sprödes Gestrüpp und dann über den Rand. Der Van bremste sporadisch und auf dem Armaturenbrett flackerten Warnsignale. Ich glaube, wir hätten uns überschlagen, hätte ich nicht mit eisernem Griff das Steuer gehalten – rein instinktiv, nicht weil ich wusste, was ich tat. Hitch und Ashlee gaben keinen Laut von sich, nur Kaitlin – und der hatte etwa die Tonlage des Windes. Wir hatten eben den flachen und steinigen Grund erreicht, als eine entwurzelte Akazie wie ein steifer schwarzer Vogel über uns hinwegflog. Selbst Hitch hielt die Luft an, als er das sah.
    »Kalt«, ächzte Kaitlin.
    Ashlee faltete die restlichen Decken auseinander, gab zwei an Kait weiter und warf eine nach vorne. Im Wagen stank es nach heißen Heizschlangen, aber die Temperatur war kaum gestiegen. Ich hatte den Kälteschock in Jerusalem gesehen, aus der Ferne, hatte aber nicht gewusst, wie es sich anfühlte, wenn diese plötzliche, betäubende Kälte von den Extremitäten ins Herz strahlte. Fehlende Energie, der unmittelbaren Umgebung entzogen durch jene rätselhafte Kraft, die ein riesiges, massives Objekt Molekül um Molekül aus der Zeit schälte. Ein frischer Wind heulte oberhalb des Bachbetts und der Himmel nahm die Farbe von Fischschuppen an. Wir hatten sich selbst regelnde Thermokleidung im Gepäck. Kait bekam eine Jacke, die ihr viel zu groß war.
    Mir kam ein entsetzlicher Gedanke, und ich langte nach dem Türgriff.
    »Scotty?«, erkundigte sich Hitch.
    »Ich muss das Kühlwasser ablassen«, sagte ich. »Wenn es gefriert, fährt der Wagen nicht mehr.«
    Wir waren so umsichtig gewesen, das Trinkwasser in Beutel zu füllen, die sich nach Bedarf ausdehnen konnten. Außerdem hatten wir Frostschutz in den Kühler gefüllt. Aber wir hatten nicht damit gerechnet, so nah am Ort des Geschehens zu sein. Ein heftiger Blitzfrost würde höchstwahrscheinlich unser Kühlsystem zerstören, und dann saßen wir fest.
    »Jede Minute zählt.«
    »Dann wünsch mir Glück. Und gib mir das Werkzeug.«
    Ich zwängte mich nach draußen. Der Sturm schlug die Tür hinter mir zu. Der Wind kam von Süden das Bachbett herauf und speiste die steilen Temperaturgradienten des kommenden Chronolithen. Die Luft erstickend voll von Staub und Sand. Ich musste die Augen mit der Hand abschirmen und konnte sie doch nur einen Spalt weit öffnen. Ich tastete mich zur Motorhaube vor.
    Der Wagen war im steilen Winkel heruntergekommen und hatte sich bis zur Stoßstange in eine Sandbank gegraben. Während ich mit beiden Händen schaufelte, explodierte über unseren Köpfen eine falsche Morgenröte. Die Thermojacke hielt meine Kerntemperatur aufrecht – bis jetzt zumindest –, doch der Atem gefror, kaum dass er von den Lippen war, und die Finger waren ungeschickt und feurig taub. Zu spät, um Handschuhe zu holen. Ich laschte die Werkzeugmappe auf und fingerte einen Schraubenschlüssel heraus.
    Die Auslassöffnung für das Kühlwasser befand sich unter dem Kühler und war mit einer Mutter verschlossen. Ich setzte den Schraubenschlüssel an, aber die Mutter ließ sich nicht drehen. Hebelwirkung, dachte ich, setzte den Fuß gegen den Reifen und legte mich in den Schraubenschlüssel wie ein Ruderer ins Ruder. Das Windgeräusch war ohrenbetäubend, doch darunter gab es noch ein Geräusch, den Donnerschlag der Ankunft, dann kam die Schockwelle durch den Boden, ein heftiger Eselstritt von unten.
    Die Mutter gab plötzlich nach, und ich fiel rücklings in den Sand.
    Ein Rinnsal trat aus und fror augenblicklich auf dem Boden – genug, um den Druck im Kühler zu verringern, obwohl es noch eine ganze Reihe anderer lebenswichtiger Systeme gab, die, wenn wir Pech hatten, durch streunendes Eis lahmgelegt werden konnten.
    Ich versuchte aufzustehen, nur um festzustellen, dass ich es nicht konnte.
    Stattdessen wälzte ich mich in den dürftigen Schutz, der durch den seitlichen Winkel zwischen Van und Boden gebildet wurde. Mein Kopf war plötzlich zu schwer, um ihn noch hochzuhalten; ich steckte die tauben Hände zwischen die Oberschenkel, rollte mich in der spärlichen Wärme der Thermojacke zusammen und verlor das Bewusstsein.
     
    Als ich die Augen öffnete, herrschte Stille. Ich befand mich wieder im Van.
    Die Sonne brannte auf dem Gewebe aus Eis, das sich auf der Windschutzscheibe gebildet hatte. Die Heizung pustete feuchtwarme Luft in den Wagen.
    Ich setzte mich auf, fröstelte.

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