Die Clans von Stratos
Pferd in einen leichten Galopp verfiel, und lenkte es dann in die Richtung, in der vor vielen Stunden die Sonne untergegangen war. Zum Meer. Während sie ihm noch nachstarrten, stieß er einen lauten Jubelruf aus, der Maia durch Mark und Bein ging. Der Mann hatte genau das zum Ausdruck gebracht, was auch in ihren eigenen Lungen brannte. Ihr Staunen wandelte sich in reine Freude, und auch sie drückte ihrem Pferd die Fersen in die Flanken. Bereitwillig setzte es sich in Bewegung und folgte Renna. Mit dem Staub, der über die Steppe wirbelte, ließ sie auch die Erinnerung an ihre Gefangenschaft hinter sich.
Die Flüchtlinge nahmen nicht den direkten Weg zum Ausgang von Long Valley, denn dort würden die Perkiniten mit Sicherheit zuerst nach ihnen suchen. Nach dem anfänglichen übermütigen Trab verfiel die Karawane allmählich in eine zügige, aber besonnene Gangart in südsüdwestlicher Richtung.
Etwa eine Stunde nach dem Aufbruch hörten sie hinter sich ein gedämpftes Geräusch, eine Art leises Rasseln. Als sie sich umdrehte, sah Maia die schlanke, mondbeschienene Felsnadel, in der sie gefangengehalten worden war. Aus der Entfernung wirkte sie ganz klein und begann bereits unter dem Horizont zu versinken. Oben an ihrer dunklen Fläche zeigten mehrere kleine Punkte, daß hinter den Fenstern Licht angegangen war.
»Verdammter Monduntergang!« fluchte Kiel und gab ihrem Pferd mit einem Schnalzen zu verstehen, das Tempo zu beschleunigen. »Ich hatte gehofft, wir hätten noch Zeit bis zum Morgen. Kommt, wir machen Spuren.«
Erst nach einer Weile begriff Maia, was sie damit meinte. Die Reitergruppe blieb absichtlich auf offenem Gelände, wo man gut vorankam, die Pferdehufe aber auch eine deutlich sichtbare Fährte hinterließen. »Es gehört zu unserem Plan, daß die Perkies sich so einlullen lassen«, erklärte Thalia im Weiterreiten. »Wir versuchen einen Trick. Mach dir keine Sorgen.«
»Das hatte ich auch nicht vor«, erwiderte Maia. Sie war viel zu glücklich. Nachdem sie die Pferde eine Weile hatten galoppieren lassen, machten sie halt. Die große Blonde richtete sich in den Steigbügeln auf und spähte durch ein Fernrohr nach hinten. »Kein Anzeichen, daß uns schon jemand im Nacken sitzt«, stellte sie fest, während sie das Rohr wieder zusammenschob. Daraufhin ritten sie langsamer, um die Tiere nicht zu ermüden.
Als Thalia Maia eine Weile später fragte, wie sie im Gefängnis behandelt worden sei, sprudelte die ganze Geschichte aus ihr hervor: über ihre Ankunft in der Steinzitadelle, die unsäglichen Kochkünste der Guel-Wärterinnen, wie schrecklich es gewesen war, das Herbstende im Gefängnis zu verbringen, daß sie hoffte, nie mehr das Innere eines Männerreservats zu Gesicht zu bekommen. Sie wußte, daß sie ohne Punkt und Komma plapperte, aber es war ihr gleichgültig, ob Thalia und die anderen sie auslachten. Jeder Mensch würde reden wie ein Wasserfall, wenn sich sein Schicksal so unerwartet wandelte, wenn aus Verzweiflung Abenteuerlust wurde und die Luft der Freiheit die Lungen füllte wie ein Rauschmittel.
Eine Weile ließen sie die Pferde traben, dann wieder in zügigen Schritt verfallen. Bald ging ein kleinerer Mond – Aglaia – auf und gesellte sich zu Durga. Eine Frau begann ein Seemannslied zu summen, eine andere sang den Text mit voller, weicher Altstimme. Eifrig stimmte Maia beim Refrain mit ein.
»Oh, blast ihr Winde der westlichen See,
Oh, blast ihr Winde, hei-ho!
Tut denen, die fahren, doch bitte nicht weh,
Und blast ihr Winde, hei-ho!«
Nachdem er ein paar Strophen zugehört hatte, sang auch Renna mit seiner Tenorstimme den Refrain mit, was bei einer Seemannsballade natürlich besonders gut paßte. Er zwinkerte Maia zu, als sich ihre Blicke trafen, und sie antwortete mit einem schüchternen Lächeln, durchaus nicht unangenehm berührt.
Noch mehr Lieder folgten. Bald war Maia klar, daß die Gruppe nicht homogen war, sondern aus zwei klar getrennten Teilen bestand. Kiel, Thalia und noch eine andere – eine kleine Brünette namens Kau – stammten aus der Stadt und verfügten über eine gewisse Bildung; dabei war Kiel eindeutig die intellektuelle Anführerin. Diese drei stimmten nun eine mitreißende Hymne mit eindeutig politischem Inhalt an.
Oh, Töchter des Sturms, tut zusammen euch,
Was steinern schien, es wird bald schwanken!
Wen kümmert’s denn noch, wem ihr gleicht,
Wenn die Ordnung gerät ins Wanken.
Maia erinnerte sich noch an die Melodie, die sie
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