Die Company
redest davon, dass sie mit uns abrechnen würden!« Seit ihrer Gefangenschaft hatte sie nahe am Wasser gebaut, und jetzt atmete sie mehrmals tief durch, um die Tränen zu unterdrücken.
»Die Russen werden nicht einmarschieren«, prophezeite sie mit bebender Stimme, »und zwar aus demselben Grund, aus dem sie nicht in Jugoslawien einmarschiert sind: weil sie wissen, dass unsere jungen Leute bereit sind, für die Revolution zu sterben, und sie würden viele russische Soldaten mit in den Tod nehmen.« Jetzt kamen ihr doch die Tränen, und sie wischte sie mit dem Handrücken weg. Sie blickte über den Fluss zu der Statue von Erzbischof Gellért, der als Märtyrer starb. »Die Hölle hat nicht genug Platz für all die russischen Soldaten, die sterben würden, wenn die Russen den Fehler begehen zurückzukommen«, sagte sie.
Sie schob eine Hand unter den Mantel und massierte ihre misshandelte Brust. Wieder standen ihr Tränen in den Augen. »Die Wahrheit ist, ich habe Angst zu weinen«, gestand sie.
»Du hast alles Recht der Welt, dich richtig auszuweinen«, sagte Ebby.
»Niemals«, stieß sie hervor. »Denn wenn ich einmal anfange, kann ich vielleicht nie wieder aufhören.«
Als die Wunde an ihrer Brust verheilte, begann Elizabet das Gebäude des Corvin-Kinos zu durchstreifen. Sie nahm an allen Versammlungen im Kinosaal oder Besprechungen in den angrenzenden Räumen teil oder sie zog Ebby mit durch den langen Tunnel, der das Corvin mit der Kilian-Kaserne auf der anderen Straßenseite verband, um mit den Offizieren des neunhundert Mann starken Pionierbataillons zu reden, das sich auf die Seite der Revolution geschlagen hatte. Abends lauschten sie (wobei Elizabet laufend übersetzte) den endlosen hitzigen Diskussionen auf den Gängen, die als Schlafquartier für die vierhundert Studenten in dem überfüllten Kino dienten. Gelegentlich wurde Árpád gebeten, eines seiner Gedichte vorzutragen, doch meistens wurde darüber debattiert, wie schnell und wie weit die Studenten und Arbeiter die neue Führung unter Leitung des Reformers Nagy voranzutreiben wagten, um mit der Sowjetunion und der kommunistischen Vergangenheit ihres Landes zu brechen.
Den Nachrichten im Radio zufolge waren bereits Verhandlungen über den Abzug sämtlicher Sowjettruppen aus Ungarn im Gange; die russische Delegation unter der Leitung des groß gewachsenen, humorlosen sowjetischen Botschafters Juri Andropow und des sowjetischen Politbüro-Ideologen Michail Suslow forderte lediglich, dass den Truppen erlaubt wurde, das Land mit wehenden Fahnen und klingendem Spiel zu verlassen, um eine öffentliche Demütigung zu vermeiden. Auf den Gängen des Corvin wurden die wenigen Stimmen niedergebrüllt, die den Mut hatten, den Rückzug aus dem Warschauer Pakt und den Ruf nach freien Wahlen als unklug zu bezeichnen. Die Revolution hatte gesiegt, wie Árpád auf einer der Debatten verkündete. Was brachte es da, Zugeständnisse zu machen, die den Sieg unterminieren würden?
»Und wenn die Russen finden, dass wir zu weit gegangen sind, und in Ungarn einmarschieren?«, wollte ein blonder junger Mann wissen.
»Dann besiegen wir sie erneut«, erwiderte Árpád.
»Und wenn sie mit zweitausend Panzern zurückkommen?«, gab eine Studentin zu bedenken.
»Die Amerikaner«, versprach Árpád, wobei er zur Unterstreichung seiner Worte mit einer selbst gedrehten Zigarette in die Luft stach, »werden uns unterstützen. NATO-Flugzeuge werden die russischen Panzer bombardieren, bevor sie Budapest erreichen. Aus der Luft wird die NATO uns mit Panzerfäusten beliefern, so dass wir die paar Panzer, die durchkommen, selbst zerstören können.« Árpád ließ den Blick über die Köpfe der Studenten schweifen und starrte Ebby trotzig an. »Wenn wir nicht die Nerven verlieren«, sagte er, »leben wir bald in einem freien und demokratischen Ungarn.« Mit einem vor frommem Eifer glühenden Gesicht stieß er dann die Faust in die Luft. » Ne Bántsd a Magyart !«, rief er. Und die Studenten fielen Beifall klatschend im Chor mit ein.
»Mit solchen Soldaten«, rief Elizabet Ebby ins Ohr, »wie können wir da noch verlieren?«
Ebby konnte bloß den Kopf schütteln. Er hoffte inständig, dass Árpád Recht behielt, hoffte inständig, dass die Russen in Russland blieben. Falls sie tatsächlich zurückkamen, dann in überwältigender Zahl und mit überwältigender Feuerkraft. Und die Welt würde tatenlos zuschauen, wie Árpád und andere seines Formats die mutigen ungarischen
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