Die Company
Angleton hegte seit langem den Verdacht, dass ein solches Direktorat existierte, da die Welt im Allgemeinen und die amerikanischen Medien im Besonderen sowohl die Gerüchte von dem chinesisch-sowjetischen Bruch als auch die Geschichten geschluckt hatten, Dubcek und Ceausescu und Tito wollten sich von Moskau distanzieren. Angleton, der sich damit brüstete, zwischen KGB-Desinformationen und realen politischen Ereignissen in der realen Welt unterscheiden zu können, wusste intuitiv, dass es sich um lancierte Falschmeldungen handelte, die die westlichen Staaten in Sicherheit wiegen sollten, damit sie den Militär- und Geheimdienstetat kürzten.
Die Informationen, mit denen Manny von seinem zweiten Treffen mit AE/PINNACLE zurückkam, eröffneten Angleton ungeahnte Möglichkeiten. Seit gut zwei Jahren war er SASHA auf der Spur, schränkte er ganz allmählich die Liste der Verdächtigen mit Hilfe eines komplizierten Eliminationsverfahrens ein, indem er die missglückten und die gelungenen Operationen analysierte. Es war, so seine Überzeugung, nur noch eine Frage von Monaten, bis er SASHA enttarnen würde. Doch während dieser Zeit konnte SASHA natürlich weiterhin großen Schaden anrichten. Umso wichtiger waren die Informationen von AE/PINNACLE, und Angleton setzte in seiner Abteilung umgehend ein Team von Experten auf sie an.
SASHA würde laut AE/PINNACLE bis Sonntag, dem 26. Mai, nicht in Washington sein, was wahrscheinlich bedeutete, dass er am Montag, dem 27., wieder in Langley an seinem Schreibtisch sitzen würde. Er sprach Russisch, sein Nachname begann mit dem Buchstaben K., und als Kukuschkin im Direktorat S der Moskauer Zentrale arbeitete, war er direkt Starik unterstellt. Im September 1972 sollte er für Starik, der eine seiner seltenen Auslandsreisen plante, diesmal in die ostkanadische Provinz Neuschottland, logistisches Material besorgen – Straßenkarten und Stadtpläne, Bus- und Zugfahrpläne, Adressen von Mietwagenfirmen. Als Kukuschkin ihm das Gewünschte in seine Privatwohnung in der Apatow-Villa in der Nähe eines Dorfes namens Tscherjomuski brachte, deutete Starik nebenbei an, er unternehme die Reise, um sich mit jemandem zu treffen. Erst später, als Kukuschkin von der Existenz eines hochrangigen KGB-Agenten in der CIA mit dem Decknamen SASHA erfuhr, zählte er zwei und zwei zusammen; nur SASHA war so wichtig, dass Starik eine Reise nach Übersee unternahm.
Während die Gegenspionage sich an die mühselige Arbeit machte, die Zentralregistratur zu durchforsten – es mussten Tausende von Akten von Hand gesichtet werden –, organisierte Manny den Arztbesuch von Kukuschkins Frau, einer kleinen, korpulenten Frau mit kurz geschnittenem graumeliertem Haar. Ihr Name war Elena Antonowa. Wie verabredet, klagte sie über Zahnschmerzen und fragte in der russischen Botschaft nach, ob man ihr einen Zahnarzt empfehlen könne. Sie erhielt die Telefonnummer des Russisch sprechenden Bulgaren, zu dem alle Botschaftsangehörigen gingen. Zum Glück hatte jemand seinen Termin abgesagt, so dass sie gleich am folgenden Tag kommen konnte. Der Zahnarzt, natürlich im Dienst der Company, hatte Mrs. Kukuschkin ein Attest gegeben, ohne sie untersucht zu haben – sie leide an einem Wurzelabszess, und die Behandlung würde drei oder vier Termine erfordern.
Manny schlenderte im Korridor auf und ab, als Elena Antonowa aus der Zahnarztpraxis kam, ein Terminkärtchen in der Hand. Er bedeutete ihr, ihm zu folgen, und sie gingen zwei Stockwerke hoch in ein Büro mit der Aufschrift Proffit & Proffit, Rechtsanwälte an der Glastür. Sie traten ein, und Manny stellte Kukuschkins Frau einem Herzspezialisten vor, der bei Bedarf für die Company arbeitete. Der Arzt, der sich für seine Sondereinsätze M. Milton nannte, sprach fließend Russisch. Er führte seine Patientin in einen angrenzenden Raum (der in der Nacht zuvor in aller Eile mit allem Nötigen ausgestattet worden war) und untersuchte sie eine Dreiviertelstunde lang. Dann stellte er in Manny's Anwesenheit eine vorläufige Diagnose: Aller Wahrscheinlichkeit nach litt Elena Antonowa an Angina pectoris. Falls die medikamentöse Behandlung keinen Erfolg brachte, würde sie sich irgendwann einer Bypass-Operation unterziehen müssen.
Manny begleitete Mrs. Kukuschkin zum Fahrstuhl und erläuterte ihr, dass sie bei ihrem nächsten Zahnarzttermin die notwendigen Tabletten erhalten werde. »Danke«, flüsterte sie und versuchte zu lächeln. »Ich sage ihnen – ich habe schreckliche
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