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Die Comtessa

Die Comtessa

Titel: Die Comtessa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Schiewe
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Einzelheiten mindestens dreimal erzählt werden musste, bevor das Mahl beendet war. Dabei prahlte Jori am meisten. Und bei jeder weiteren Darstellung schien der Eber mächtiger und gefährlicher und der Mut seiner Bezwinger noch größer geworden zu sein.
    Ermengarda genoss es, ihren Getreuen zuzuhören. Sie sahen so fröhlich aus, so jung und stark. Sie liebte jeden Einzelnen von ihnen. Doch dann, zu ihrem Entsetzen, aber unter dem Beifall der gesamten Klostergemeinschaft, widmete Felipe ihr die Ohren des Keilers, zwei hässliche schwarze Dinger voller Borsten, und legte sie vor ihr auf die Tafel.
    Dabei fiel ihr Blick auf den Verband, den er um die Hand gewickelt hatte. »Wie konntest du nur so leichtsinnig sein?«, warf sie ihm an den Kopf. »Schon bei der Vorstellung sterbe ich vor Angst.«
    »Schön zu wissen, dass du dich um mich ängstigst«, grinste er und deutete eine Verbeugung an.
    »Bilde dir nichts darauf ein«, rief sie patzig. »Es war unverantwortlich, das weißt du sehr wohl.«
    Aber die Gefährten lachten nur, als sei es nichts, fast um Haaresbreite von einem Eber aufgeschlitzt zu werden.
Magistra
Bertrada lächelte milde und tätschelte Ermengardas Hand.
    »Männer, meine Liebe«, sagte sie, »ob klein oder groß, schneiden gerne auf. Sie lieben es, uns Frauen Angst einzujagen. Und je furchtsamer wir kreischen, je mehr freuen sie sich. Am besten gar nicht ernst nehmen.«
    »Ertappt, ertappt«, rief Felipe. »Ich bekenne mich.«
    Darauf lachten sie alle und wollten schier nicht aufhören. Selbst Raimon beteiligte sich an den Scherzen. Außer Arnaut. Der saß dabei und lächelte still. Während des Mahls hatte er Felipe und Severin, den beiden Helden des Tages, das Feld überlassen. Ermengardas Blick fiel auf seine Hände, die vor ihm auf dem Tisch lagen. Ein Nagel war eingerissen und am Handgelenk die Haut abgeschürft. Es waren kräftige Hände, die zupacken konnten.
    Während er eine Locke aus der Stirn strich, merkte er, dass sie ihn beobachtete. Sein Lächeln starb, ihre Blicke suchten sich. Sie glaubte, so etwas wie Traurigkeit in seinen dunklen Augen zu erkennen, aber dann runzelte er die Stirn und sah wieder fort. Danach musste sie sich zusammennehmen, so zugeschnürt war ihr die Kehle.
    Ihr Blick wanderte über die ausgelassene Gemeinschaft, die sonnengebräunten Gesichter der Frauen und Männer, einige wenige schon alt und vom Leben gezeichnet. Trotz der strengen Klosterregeln, nach denen sie lebten, herrschte eine fröhliche Gelassenheit unter ihnen, ein vertrauensvoller, fast zärtlicher Umgang. Sie, die elternlos im vizegräflichen Palast aufgewachsen war, von bösen Zungen und missgünstigen Ränken umgeben, beneidete diese Menschen und ihre friedvolle Verbundenheit. Sie fragte sich, ob Raimon recht hatte, und ob es hier doch mehr als die Liebe zu Jesus Christus gab. Wie dem auch sei, es war nicht an ihr, darüber zu urteilen.
    Nach dem Essen, als Nonnen und Mönche sich zurückgezogen hatten, stand Felipe auf und legte noch etwas Holz aufs Feuer.
    »Jetzt sind wir allein und können reden«, sagte er. »Wir sind schon lange hier, und Raimon geht es gottlob besser. Nun müssen wir beraten, wie es weitergehen soll.«
    Raimon nickte. »Felipe hat recht.«
    Die Wochen in der Priorei hatten ihnen eine Verschnaufpause beschert. Aber viel länger durften sie die Gastfreundschaft der Priorin nicht in Anspruch nehmen.
    »Was schlägst du vor?«, fragte Ermengarda.
    »Wir könnten die Reise nach Barcelona fortsetzen. Nur das Vallespir müssen wir meiden. Deshalb sind auch Elna und die Küstenstraße nicht zu empfehlen. Besser wir überqueren das Gebirge weiter westlich auf der anderen Seite des Canigou. Aber im Winter ist das nicht ungefährlich.«
    »Nur zu wahr«, sagte Arnaut. »Dafür sind wir nicht gerüstet. Wir brauchten bessere Kleidung, Zelte, Maultiere und Verpflegung.«
    »Ich weiß nicht, ob wir viel erreichen in Barcelona«, sagte Ermengarda entmutigt. »Seit Aimar nicht mehr bei uns ist …« Sie sprach nicht weiter.
    Auch die anderen senkten die Köpfe. In Wahrheit, auch wenn die jungen Männer es nicht gern zugaben, fühlten sie sich verloren. Aimar hätte Rat gewusst. Je länger sie unterwegs waren, desto unwahrscheinlicher kam es ihnen vor, etwas gegen die Macht der Tolosaner ausrichten zu können. Das Erlebnis auf Castel Nou hatte nur noch mehr zu diesen Zweifeln beigetragen. Es schien, als sei Ermengarda nichts anderes als Freiwild für die Mächtigen des Landes, nichts als

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