Die Comtessa
»In ein paar Jahren, wenn du gelernt hast, dich wie ein Ritter zu benehmen, werde ich mir überlegen, ob du einen Platz unter meinen Männern verdienst.«
Mit diesen Worten wandte er sich ab. Gleich darauf erkannte er den schwarzgekleideten Edelmann am Kamin und ging auf ihn zu. »Mein lieber Tibaut de Malvesiz«, rief er. »Ich schätze, Eure Herrin schickt Euch.«
Er nahm den Mann beim Arm, und beide verschwanden ohne ein weiteres Wort durch eine hintere Tür, die ins Innere des Palastes führte.
Arnaut erhob sich. Vor Enttäuschung und Scham wagte er niemandem in die Augen zu sehen, am wenigsten Joan de Berzi, der nun ohne Zweifel sein Feind war. Er drehte sich um und stürmte aus der Halle. Gelächter folgte ihm. Draußen auf dem Marktplatz ballte er wütend die Faust. Schließlich holte er tief Luft und kehrte zu seinen Gefährten zurück.
»Und?«, fragte Severin atemlos. Doch dann bemerkte er die finstere Miene seines Freundes. »Was ist geschehen?«
»Ich hab alles verdorben«, murmelte Arnaut.
***
Im Gegensatz zur großen
aula
war der Empfangssaal der
vescomtessa
der am kostbarsten eingerichtete und, abgesehen von ihrem eigenen Schlafgemach, auch der behaglichste Raum des Palastes.
Im Kamin vertrieb ein Feuer die feuchte Kühle des unfreundlichen Oktobertages. Der Fußboden bestand aus gewachsten, wohlriechenden Dielen, fein gearbeitete Truhen und Möbel füllten den Raum, ein kleiner Tisch für das Schachspiel stand in einer Ecke, und gepolsterte maurische Sitzbänke luden zum Verweilen ein. Die Wände bedeckten Tapisserien mit eingewirkten Motiven aus dem Leben Sant Pauls, des ersten Bischofs der Stadt, aber auch Jagdszenen, wie Aimeric sie geliebt hatte.
In einer Nische, auf einem hohen Marmorsockel, thronte Ermessendas Lieblingsstück, eine kleine römische Bronze der Göttin Diana, zum Glück nur wenig beschädigt. Die Wildheit und Unbezähmbarkeit, die aus der äußerst lebendig wirkenden Figur sprach, beeindruckte die Fürstin immer wieder. Sie glaubte, sich selbst darin zu erkennen. Und insgeheim fühlte sie sich jenem uralten und verbotenen Dianakult verbunden, bei dem es um Magie und Hexenzauber ging, verkörperte die Göttin doch das dunkle Gegenteil ihres Bruders, des Sonnengottes Apollo.
Ermessenda la Bela hauchte auf die glatte Oberfläche ihres Handspiegels und reinigte ihn vorsichtig mit einem weichen Wolltüchlein. Sie liebte dieses Kleinod aus Al-Andalus, das sich selten außerhalb ihrer Reichweite befand. Nicht allein, weil es ein Geschenk ihres verstorbenen Gemahls war, sondern weil dieser Gegenstand Schönheit mit Nützlichkeit auf eine Weise verband, die sie stets aufs Neue entzückte.
Die Innenfläche selbst war aus metallunterlegtem Glas, eine Kunstfertigkeit, die nur die Sarazenen beherrschten und sich fürstlich vergolden ließen. Mit der Echtheit und Klarheit des Bildes, das dieses Kunstwerk wiedergab, waren die üblichen Silber- oder Kupferspiegel nicht zu vergleichen. Griff und Einfassung waren aus feinstem Gold und mit winzigen Edelsteinen besetzt, die das Antlitz eines jeden, der hineinblickte, aufs angenehmste umrahmten.
Prüfend betrachtete sie ihr Spiegelbild.
Wie immer ärgerte sie sich über die Sommersprossen auf ihren Wangen, denn trotz größter Vorsicht, jedes Sonnenlicht zu vermeiden, würde sie nie so vornehm blass erscheinen, wie sie es sich wünschte. Bleiweiß, wie andere Frauen es verwandten, schadete ihrer Haut, das wusste sie aus Erfahrung. Nun, es war nicht zu ändern. Dies war der Fluch aller Rothaarigen.
Ob er heute kommen würde? Ganz bestimmt, beruhigte sie sich. Schließlich hatte sie Tibaut beauftragt, anzudeuten, dass sie unter gewissen Umständen nun doch zu Verhandlungen bereit sei.
Mit der Kuppe des kleinen Fingers nahm sie einen Hauch von der wohlriechenden, roten Wachspaste auf, um eine Winzigkeit zuerst auf den Wangen zu verreiben und dann sorgfältig auf ihre Lippen aufzutragen. Noch so eine der wundervollen Erfindungen aus dem Maurenland, ohne die das Leben nur halb so viel wert war. Sie presste die Lippen zusammen, um die hauchdünne Schicht besser zu verteilen. Zu viel davon, und sie sähe wie eine Dirne aus, aber nur ganz sparsam aufgetragen, verlieh es ihrem Antlitz jugendliche Blüte. Ja, so war es gut. Ihr Mund war das Beste an ihrem Gesicht. Vielleicht auch die hellen, graugrünen Augen.
Mit sich zufrieden legte sie den Spiegel auf den Tisch und sah nach ihren Töchtern, die sich mit der gezeichneten Vorlage einer
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