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Die Comtessa

Die Comtessa

Titel: Die Comtessa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Schiewe
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Stickarbeit beschäftigten. Ihre dreizehnjährige Tochter blickte auf, und als sie sah, dass die Mutter das silberne Döschen der Schminkpaste verschloss, erhob sie sich und trat rasch näher.
    »Darf ich auch, Mama?«
    »Nina! Diese Schminke ist viel zu teuer für ein Kind«, erwiderte Ermessenda. Da beide den gleichen Namen trugen, hatten die Leute begonnen, die Tochter
la nina,
das Mädchen, zu nennen, und so war am Ende Nina als Rufname geblieben.
    »Bitte, Mama.«
    Ermessenda seufzte. Am Ende gab sie wie so oft nach. Sie verwöhnte Nina, das war ihr bewusst, aber warum sollte sie ihrem einzigen Kind so eine kleine Freude verwehren? Besonders nach dem Tod ihres Sohnes Berenguer vor einem Jahr, den sie noch nicht verwunden hatte. Er war erst sieben gewesen.
    »Finger weg,
filheta
«, rief sie, als Nina nach der Paste griff. »Lass mich es machen. Du verschmierst dich nur.«
    Nina schloss die Augen und hielt ihr die halb geöffneten Lippen hin. Ermessenda trug nur ein klein wenig von der roten Paste auf und verteilte sie sorgfältig. Dann hielt sie ihrer Tochter den Spiegel vors Gesicht.
    »Na? Bist du zufrieden?«
    »Man sieht ja fast nichts.« Nina zog ein Gesicht.
    »Für ein kleines Mädchen ist das genug.«
    »Ich bin kein kleines Mädchen mehr. Hör auf, mich so zu nennen!«
    Ermessenda lachte und nahm ihre Tochter in die Arme. »Mein kleines Mädchen und
mon anjol.
Mein Engelchen«, sagte sie und wiegte Nina sanft. »Das wirst du immer bleiben, ganz gleich, wie alt du bist.«
    Nina schmiegte sich an ihre Mutter. Währenddessen fing Ermessenda einen Blick der anderen auf, ein kühler, abschätzender Blick, der ihr tief in die Seele zu schauen schien. Ernüchtert machte sich Ermessenda von Ninas Umarmung frei. »Geh jetzt und hilf deiner Schwester.«
    »Warum lassen wir es zu«, fragte Ermengarda, »dass fremde Soldaten hier das Sagen haben und sie ungestraft töten dürfen?«
    Ermessenda war erstaunt. Weniger über die Frage als über den unerwarteten Zorn in Ermengardas Augen. Das war sie von ihrer jungen Stieftochter gar nicht gewohnt.
    »Nun, das sind Angelegenheiten …«
    Wie so oft hatte sie sagen wollen, dass die Kinder sich nicht um Dinge kümmern sollten, die sie noch nicht verstünden. Aber als sie auf Ermengardas gescheites Gesicht starrte, dämmerte ihr, dass das Mädchen inzwischen mehr verstand, als sie ihr zutraute. Und dann diese Frage. War das eine Herausforderung?
    »Wir leben in schweren Zeiten«, antwortete sie schließlich, um nicht zuzugeben, dass sie über den gestrigen Vorfall ebenso entsetzt war, sich aber, trotz ihrer Stellung als Fürstin, machtlos fühlte. Wobei man sich fragen musste, was empörender war, der plötzliche Aufstand des Pöbels oder die brutale Art, wie er niedergeknüppelt worden war.
    Seit Aimerics Tod vor acht Jahren hatte Alfons von Zeit zu Zeit Ansprüche geltend gemacht, angeblich die eines Herzogs und Lehnsherrn über Narbona. Unter diesem Vorwand und mit Unterstützung des Erzbischofs hatte er sich hier vor drei Jahren eingenistet. Die einflussreichen Bürger waren mit Versprechen oder Gold zum Schweigen gebracht worden, und aus Furcht vor seinem Heer hatten sich auch die Adeligen der Vizegrafschaft zurückgehalten. Wer hätte sie auch führen sollen? Schließlich war sie selbst kein Mann und Kriegsherr wie Aimeric. Und jetzt sah sie kaum noch einen Weg, die Vorherrschaft Tolosas abzuschütteln.
    »Vater hätte dies nie zugelassen«, sagte Ermengarda.
    »Was weißt du schon von deinem Vater?«, erwiderte Ermessenda scharf und starrte ihre Stieftochter so feindselig an, dass diese die Augen senkte und es vorzog, zu schweigen.
    Gereizt nahm Ermessenda ein Blatt von feinstem Pergament vom Tisch und versuchte, sich zur Beruhigung in die Abschrift eines ihrer Lieblingslieder zu versenken.
     
    Ab la doussor del temps novel
    folhon li bosc e li auzel …
     
    Von des Lenzes Süße singen Vögel
    im neu ergrünten Wald …
     
    Ein
canso
des berühmten Herzogs Guilhem von Aquitania, den sie schon zu Lebzeiten den
trobador
genannt hatten. Seine blutjunge Enkelin Alienor und einzige Erbin des Herzogtums hatte es geschafft, die Macht über Aquitania in ihren zarten Händen zu behalten, obwohl sie vor wenigen Jahren den König von Frankreich geheiratet hatte. Rechtens sollte er als ihr Gemahl dort herrschen, doch der junge Mann war so vernarrt in die Kleine, dass er ihr jeden Wunsch gewährte. Aber warum nur hatte ihre Stieftochter sie an Alienor von Aquitania denken

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