Die Comtessa
sah er das Bild eines Kerls mit Armbrust vor sich und Ermengarda mit einem Pfeil in der Brust niedersinken. Sein Herz krampfte sich zusammen. O Gott. Sie werden sie ermorden. Und Tibaut war das Schwein, das dahintersteckte. Der Mann ist des Todes, so schwor er sich. Umbringen werde ich ihn, sobald ich hier herauskomme. Dass er freikommen würde, daran hegte er keinen Zweifel. Sie hatten nicht den Mut, ihm etwas anzutun, nicht dem Sohn des Vizegrafen von Menerba.
Aber handelte Tibaut auf eigene Faust? Wie weit war Ermessenda selbst verstrickt? Er verfluchte seine eigene Dummheit. Er hatte sich in Narbona sicher gefühlt, schließlich konnte ihm niemand eine Beteiligung an Ermengardas Flucht nachweisen. Auf Fragen der Leute hatte er nicht ohne zweideutiges Grinsen behauptet, er sei die ganze Zeit in Menerba gewesen. Natürlich hatte ihm niemand geglaubt. Er hatte auch gar nicht gewollt, dass man ihm glaubte. Offen und frech war er aufgetreten, hatte sich überall gezeigt. Seht her, hier bin ich. Und was wollt ihr dagegen tun?
Aber dann war er unter einem Vorwand in eine Gasse gelockt worden, wo ihn drei Wachleute gepackt und einen stinkenden Knebel in den Mund gesteckt hatten. Einen Sack hatten sie ihm über den Kopf geworfen, damit niemand ihn erkennen konnte. Wie ein Verbrecher war er abgeführt und in den
tor de sarasin
gesteckt worden, den Maurenturm, der die Ecke des vizegräflichen Palastes bildete.
Ohne dass Felipe es wusste, hatte zufällig sein Freund Giraud de Trias den Vorfall beobachtet und Raimon berichtet. Der hielt sich schon seit Tagen heimlich in der Stadt auf. Er war allerdings vorsichtiger vorgegangen, wagte sich nicht wie Felipe über den Marktplatz, vermied überhaupt Straßen und Plätze und ging nur nachts oder vermummt vor die Tür. Außer der Familie und den engsten Freunden wusste niemand, dass er in Narbona war. Als er von Felipes Festnahme erfuhr, hatte er lange überlegt, was zu tun sei. Dann hatte er einen Boten nach Menerba gesandt.
Heute dann, kurz nachdem Felipe auf so brutale Weise verhört worden war, traf Menerba an der Spitze einer Truppe von hundert berittenen Kriegern in Narbona ein. Seine Männer quartierte er in seinem Haus und in Unterkünften der
militia urbana
ein, besprach sich kurz mit Raimon, der ihn erwartet hatte, und eilte dann zum Palast, um eine Audienz bei Ermengarda zu erwirken.
»Wo ist mein Sohn?«, polterte er gleich los.
»Wir haben ihn in Gewahrsam«, antwortete la Bela. Trotz ihres strengen Tons wirkte sie seltsam rastlos, ihr Blick zerstreut.
»Und warum? Auf wessen Veranlassung?«
»Auf meine«, erwiderte Tibaut. »Er hat mit Ermengardas Entführung zu tun. Wir müssen es untersuchen.«
»Musst du deinen Knecht für dich reden lassen?«, fragte Menerba, woraufhin Tibaut ihm einen wütenden Blick zuwarf.
La Bela räusperte sich. Sie schien verlegen. »Nun, es ist so, wie Tibaut sagt. Felipe hat sie entführt, oder sie ist freiwillig mit ihm geflohen, man weiß es nicht genau. Jedenfalls müssen wir ihn befragen, das ist nur rechtens. Außerdem müssen wir wissen, wo sie sich aufhält.«
»Und?«
»Er ist verstockt«, sagte Tibaut.
»Mit dir rede ich nicht«, zischte Menerba.
Tibaut ließ sich nicht beirren. »Ich höre, Ihr seid mit ordentlichem Gefolge gekommen. Sind das die Truppen, die Ihr dem Grafen vorenthaltet?«
Menerba tat, als höre er ihn nicht, sondern starrte nur la Bela an, die vor seinem Blick die Augen senkte.
»Solange Ihr Euren Treuepflichten nachkommt,
Vescoms,
wird es Eurem Sohn gutgehen.« Tibaut grinste spöttisch.
Menerba packte ihn an der Tunika und zerrte ihn zu sich heran. »Willst du mich erpressen, du kleiner Scheißer?«
La Bela war aufgesprungen. »Das reicht, Peire. Lass ihn los«, rief sie scharf.
Menerba stieß Tibaut von sich und drehte sich zu ihr um.
»Ist es so weit zwischen uns gekommen, dass du meinen Sohn in Geiselhaft nimmst?« Sein Blick bohrte sich in ihr Herz, als suche er dort etwas, das längst verloren war. »Lass ihn frei, Ermessenda.«
Nicht ohne Wehmut ertrug sie diesen Blick. Dann sah sie zur Seite und stählte sich gegen Erinnerungen und Gefühle, die seine Gegenwart in ihr weckte.
»Wo ist Alfons?«, fragte Menerba.
»Bei seinen Truppen. Nicht weit von Carcassona, soweit wir wissen.«
»Vielleicht sollte ich mit ihm reden statt mit dir.«
»Sei froh, dass dein Sohn nicht von den Tolosanern gefasst wurde. Alfons in seiner Wut würde ihn hinrichten lassen.«
»Felipe hat nichts damit
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