Die Comtessa
Kost im Magen behalten. Doch immer noch lagen tiefe Schatten unter ihren Augen, sie war abgemagert, wirkte matt und niedergeschlagen.
»Leveson hat eine Versammlung, eine Art
concilium
der großen Fürsten der Region einberufen. Unter seiner Führung.«
»Und wozu?«, fragte sie.
»Um die Herrschaft der Vizegrafschaft zu regeln.«
»Was fällt ihm ein? Wir werden Alfons zwingen, die Vermählung rückgängig zu machen, auf seine Ansprüche zu verzichten und gewisse Ersatzleistungen zu zahlen. Was soll es sonst zu regeln geben?«
»Ganz so einfach ist es nicht, Ermengarda.« Er starrte verlegen auf seine Hände. »Die Trencavels haben Verluste erlitten. Sie werden Ansprüche anmelden.«
»An uns? Was hätten die uns vorzuwerfen?«
»An Tolosa natürlich. Deshalb werden sie verlangen, an den Verhandlungen mit Alfons beteiligt zu werden. Schließlich haben auch sie für uns gekämpft.«
»Verstehe«, sagte sie lustlos und deutete auf ihr unberührtes Essen. »Möchtest du?«
Raimon erinnerte sich plötzlich, dass er den ganzen Tag noch keinen Bissen zu sich genommen hatte. Er wählte einen Apfel und biss hinein.
»Es wird aber hauptsächlich um politische Fragen gehen«, sagte er kauend. »Der Erzbischof steht wie immer auf Tolosas Seite. Er beeinflusst die Stimmen der Bischöfe und einer Reihe kleinerer Grafschaften, die ebenfalls zu Alfons’ Verbündeten zählen. Die anderen … nun, man wird versuchen, sich mit Alfons zu einigen.«
»Niemand soll vergessen, dass er mein Gefangener ist. Von mir aus kann er im Kerker verrotten, bis unsere Forderungen angenommen sind.«
»Sicher, aber selbst die Fürsten, die auf unserer Seite stehen, wollen das Gleichgewicht wiederherstellen, Krieg vermeiden. Sie werden Garantien verlangen, dass Narbona sich als verlässlicher Bündnispartner verhält. Auch für uns steht viel auf dem Spiel. Außer der adeligen Ritterschaft haben wir kein eigenes Heer, um Ansprüche durchzusetzen, denn la Bela hat lieber Geld für andere Dinge ausgegeben. Und vor allem sind wir vom Handel mit den Nachbarn abhängig.«
»Es geht also wie immer ums Geld.«
»So ist die Welt, Ermengarda.«
»Aber das sind doch Dinge, auf die man sich einigen kann.«
Raimon rang sich durch, ihr endlich reinen Wein einzuschenken. »Der Domdechant«, sagte er, »der dir im Gegensatz zu seinem Herrn wohlgesinnt ist, hat mich vorgewarnt. Er sagt, niemand wird die Herrschaft der Vizegrafschaft einer Frau zutrauen, noch dazu einer so jungen wie du.«
Ermengarda setzte sich auf. »Ob sie es mir zutrauen oder nicht, ich bin die Erbin von Narbona. Titel und Herrschaft stehen mir zu, mir allein«, sagte sie gereizt.
»Trotzdem werden sie darauf dringen, einen angemessenen Gemahl für dich zu finden, der die Regentschaft übernimmt. Einen, der allen genehm ist. Darum wird es wohl in der Hauptsache gehen.«
Ermengarda öffnete den Mund und schloss ihn wieder, schüttelte den Kopf. Das hatte sie nicht erwartet.
»Wenn Alienor von Aquitania allein über ihr Erbe herrschen darf, warum nicht ich?«, sagte sie schließlich.
»Sie ist mit dem König von Frankreich verheiratet, und der Form halber ist er der Herzog von Aquitania, das solltest du nicht vergessen, auch wenn er ihr freie Hand lässt.«
Ermengardas Gesicht hatte eine ungesunde Röte angenommen. »Willst du mir sagen, niemand schert sich um die Würde meiner Ahnen? Oder wer ich überhaupt bin, zu was ich imstande bin? Sehen die in mir nur ein Pfand, eine Mitgift? Soll etwa nur der Ehemann getauscht werden, sonst ändert sich nichts?«
Raimon ließ den Kopf hängen. »Ich wollte dich nur warnen, dass es darauf hinauslaufen könnte.«
Es blieb still in der Kammer. Nur ferne Stimmen drangen durch die halboffenen Fensterläden. Fischweiber auf der Brücke, Menschen auf dem Marktplatz, so wie immer.
»Es war also alles umsonst«, murmelte sie niedergeschlagen.
Was hätte er nicht dafür gegeben, ihr bessere Nachrichten überbringen zu können.
»So sollten wir nicht denken.« Er legte den angebissenen Apfel zurück und wischte sich die Finger am Wams ab. »Mich ärgert es maßlos, dass der Erzbischof schneller war als wir. Wir hätten dieses
concilium
einberufen sollen, dann hätten wir die mächtigere Stimme gehabt und könnten Ablauf und Inhalt bestimmen. Nun versucht Leveson, sich zum Richter über uns zu erheben. Es tut mir leid, Ermengarda. All dies hätte mir früher einfallen sollen.«
»Ach, Raimon«, sagte sie und legte ihm die Hand auf den Arm.
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