Die Comtessa
sich ein unzuverlässiges Weib in Narbona wünschen, die macht, was ihr gerade in den Kopf kommt. Wir müssen sehen, dass sich alle einig sind, dann kann sie sich der geballten Macht der Fürsten nicht widersetzen. Das letzte Wort, mein Lieber, ist noch lange nicht gesprochen.«
***
Nach ihrer Ansprache war Ermengarda am Ende ihrer Kräfte angelangt. Sie wollte niemanden mehr sehen, geschweige noch ein einziges Wort reden. Alle Fragen, die man an sie richtete, wehrte sie mit einem kurzen »Raimon de Narbona wird sich um alles kümmern« ab und verschwand die Treppe hinauf in die oberen Stockwerke. Ihr Sinn stand nur noch nach Schlaf und Vergessen.
Umgestürzte Möbel waren hastig wieder aufgestellt worden, Handwerker mühten sich, die aufgebrochenen Kammertüren auszubessern, auch die wenigen Leichen der Leibwache hatte man weggetragen, nur vereinzelte Blutflecken waren noch zu sehen.
Bei ihrem Anblick sprangen ihr sofort wieder die albtraumhaften Bilder der vergangenen Nacht ins Bewusstsein. Noch nie hatte sie solche Schrecken durchlebt, noch nie einen solchen Siegesrausch, als sie, Arnaut und den Katalanen auf den Fersen, mit gezogenem Schwert in la Belas Schlafgemach eingedrungen war. Es war eine erschütternde Selbsterkenntnis, dass sie fähig war, einen Menschen zu töten. Wäre Arnaut nicht gewesen, hätte sie ihrer Stiefmutter bedenkenlos das Schwert in die Kehle gestoßen.
An Arnaut mochte sie gar nicht denken. Es tat zu weh.
Das Gesinde sprang ihr aus dem Weg, knickste oder verbeugte sich ängstlich vor ihr. Warum haben sie nur plötzlich alle Angst vor mir? Sie war zu müde, auch nur zu lächeln. Vor ihrer alten Schlafkammer standen zwei Katalanen Wache und grüßten ehrerbietig. Als sie die Tür öffnete, fand sie drinnen Nina und
Domna
Anhes, die auf dem Bett saßen und auf sie warteten.
Domna
Anhes trug eine ernste Miene auf dem Gesicht. Ihr Arm lag um Ninas Schultern. Sofort wurde Ermengarda von Schuldgefühlen überwältigt. Wie hatte sie nur ihre kleine Schwester vergessen können? Sie warf sich vor ihr auf die Knie.
»Nina,
mon cor.
Wie froh bin ich, dich wohlbehalten zu sehen.«
Nina weinte, als sie sich umarmten. »Ich hatte solche Angst, Erminha«, schluchzte sie. »Warum musstest du mit Soldaten kommen? Sieh, was du angerichtet hast.«
»Was hätte ich sonst tun sollen? Sie hätten uns bis ans Ende der Welt verfolgt.«
»Wer? Tibaut?«
»Tibaut auf jeden Fall. Und natürlich Alfons und …«, sie zögerte, »… und … Mutter.«
Nina nickte. »Ich weiß das. Sie kann schrecklich sein. Aber nicht so schlimm wie Tibaut. Sie sagen, er ist geflüchtet.«
»Leider. Er ist uns entkommen.«
»Und was geschieht jetzt mit Mama?«
Nina strich sich eine blonde Strähne aus der Stirn und sah sie mit großen, verweinten Augen an. Lange Zeit hatte Ermengarda keine Antwort für sie, zum Teil aus Betroffenheit über die Frage und weil sie es selbst noch nicht wusste.
»Sie muss sich für ihre Verbrechen verantworten.«
»Welche Verbrechen?«
»Darüber will ich jetzt nicht reden.«
»Sie ist unsere Mutter!«
»Deine Mutter, Nina.«
»Nein, sie ist auch deine Mutter, Erminha. Sie hat mit uns gespielt, erinnerst du dich nicht mehr? Sie hat mit uns gesungen und dir das Lautenspiel beigebracht.«
»Hör auf«, flüsterte Ermengarda.
»Wir haben Rätsel geraten und gelacht. Und Geschichten hat sie uns erzählt.«
Ermengarda konnte die Tränen nicht zurückhalten. Sie verbarg ihr Gesicht in den Händen und weinte bitterlich. »Ich weiß«, hauchte sie unter heftigem Schluchzen.
»Ich geh jetzt zu ihr«, sagte Nina mit Bestimmtheit. »Die Soldaten werden mich schon zu ihr lassen. Da bleibe ich dann, Erminha. Und ich komm nicht wieder raus, bis du sie freilässt.«
»Aber das geht nicht.« Ermengarda wischte sich die Tränen von der Wange. »Bitte, Nina …«
Nina beugte sich vor und küsste ihre Schwester.
»Arme Erminha«, sagte sie und verließ die Kammer.
Unversöhnlich
D ie nächsten Tage brachten Sorge und Ungewissheit für die Bürger von Narbona, denn sie mussten um ihre junge Herrscherin, dem neuerkorenen Liebling des Volkes, bangen.
Man wollte sie sehen, in den Kirchen oder Plätzen der Stadt, ihr zuwinken, vielleicht sogar eine Gelegenheit erhaschen, den Saum ihres Gewandes zu berühren. Doch Ermengarda sei erkrankt, hieß es, und ließe niemanden zu sich. So blieb den Leuten nichts, als zu allen Heiligen der Stadt zu beten, dass sie bald genesen möge, denn so ganz traute
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