Die Comtessa
Wirklich kein Kind mehr, dachte sie, denn die fraulichen Formen waren nicht zu übersehen. Wo hatte sie nur ihre Augen gehabt? Sie presste ärgerlich die Lippen zusammen. Schon längst hätte sie Ermengarda unter die Haube bringen sollen, und zwar auf eine Weise, die ihr zum Vorteil gereicht hätte, anstatt dieser aufgezwungenen Heirat.
»Ich habe dich herbestellt, um dich von deiner bevorstehenden Vermählung zu unterrichten«, sagte sie kühl. Ermengarda riss überrascht die Augen auf. »Und du kannst dich überaus glücklich schätzen, eine solche Verbindung zu Ehren Narbonas eingehen zu dürfen«, fügte sie hinzu.
Ermengarda verlor mit einem Mal ihre kindlich unterwürfige Haltung, stand aufrechter und reckte angriffslustig ihr Kinn.
»Vermählung?«, rief sie. »Davon weiß ich ja gar nichts. Und wen soll ich bitte heiraten?«
La Bela blickte sie erstaunt an. Der Ton war ungewohnt.
»Den Grafen von Tolosa«, antwortete sie schließlich bitter, als habe sie Mühe, die verhassten Worte auszusprechen.
Ermengarda zuckte zurück, als hätte man ihr einen Schlag versetzt. Sie schien zu erbleichen. Oder war das nur eine Sinnestäuschung? Denn gleich darauf schoss dem Mädchen das Blut ins Gesicht, die Brauen zogen sich zornig zusammen, und sie trat rasch, fast drohend einen Schritt auf ihre Stiefmutter zu.
»Ich heirate keinen Grafen von Tolosa«, sprach sie mit einer Bestimmtheit, die Ermessenda völlig überraschte. So kannte sie die Stieftochter nicht.
»Du heiratest, wer dir bestimmt wird.«
»Niemanden werde ich heiraten!«
La Bela sprang auf, denn ihr plötzlicher Zorn über diesen unerwarteten Widerstand hielt sie nicht länger auf dem Lehnstuhl. Zuerst der Pfaffe und nun dies. Wie konnte das kleine Luder es wagen?
»Es ist zum Besten der
familia
und der Vizegrafschaft. Du wirst dich fügen«, schrie sie aufgebracht. »Ich dulde keine Widerrede!«
Doch Ermengarda ließ sich nicht einschüchtern und stand ihr an Heftigkeit nicht nach. »Ich werde niemals diesen Alfons heiraten. Ich kann ihn nicht ausstehen. Er bedroht Narbona und außerdem …«
»Außerdem was?«, zischte la Bela und näherte sich ihr drohend wie eine Raubkatze.
»Vater hätte es nie zugelassen!«, warf ihr Ermengarda unerschrocken ins Gesicht.
»Was weißt denn du davon? Eine dumme Göre wie du, noch halb in den Windeln.« La Bela war gefährlich rot geworden. Das Blut pochte ihr in den Schläfen. »Du bist mein Mündel und tust, was ich dir sage,
e basta!
«, keifte sie.
Aber Ermengarda trat keinen Schritt zurück. Im Gegenteil, in ihrem Zorn waren sie sich beide so drohend nahe gekommen, dass ihre Nasen sich fast berührten. Wie zwei Rachegöttinnen standen sie einander gegenüber.
»Ich allein bin Narbona und niemand anders!«, brüllte das Mädchen mit unerwarteter Entschlossenheit zurück. »Du dagegen bist nur die Kebse meines Vaters. Ich lasse nicht zu, dass du sein Erbe verspielst!«
Kebse?
Das war zu viel für la Bela. Sie sah nur noch blutrot vor den Augen. Ihre geballte Faust schoss hoch und traf Ermengarda an der Schläfe, dass diese taumelte. Noch mehrmals schlug sie zu, und das Mädchen stürzte zu Boden. Blut quoll von ihrer Lippe. La Bela hatte jede Beherrschung verloren. Sie trat nach ihr, traf sie in den Magen, dann mitten ins Gesicht. Ermengarda krümmte sich und versuchte, die Tritte mit den Armen abzuwehren.
Und dann kam Nina kreischend ins Zimmer gerannt. »Mama, Mama! Was tust du da? Hör auf. Hör endlich auf!« Und das Kind zerrte an ihr, bis der rote Vorhang vor ihren Augen zerriss und sie schluchzend in die Knie sank und ihr geliebtes Töchterchen umarmte und an sich drückte.
»O mein Kind«, jammerte sie unter Tränen, »ich weiß nicht, wie mir geschah.« Undeutlich nahm sie wahr, wie Ermengarda mit blutverschmiertem Kinn von ihr wegkroch und aus dem Zimmer floh. »Deine Schwester …«
Doch Nina riss sich los und rannte hinter Ermengarda her.
La Bela ließ die Arme sinken und rief ihr nach: »Es ist doch alles nur für dich,
mon cor!
«
Aber Nina hörte sie nicht mehr.
Und so blieb sie, immer noch auf Knien und mit vors Gesicht geschlagenen Händen, allein zurück. Warum zerbrach nur alles in ihren Händen?
***
Die Basilika Sant Paul Serge, nahe der Westmauer von lo Borc gelegen, war ein gedrungenes Bauwerk mit massigen Wänden aus grauen Quadern, mächtigen Stützmauern und winzigen Fensteröffnungen, die nur wenig Licht ins Innere ließen. In der düsteren Krypta lagen die Überreste
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