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Die Comtessa

Die Comtessa

Titel: Die Comtessa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Schiewe
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flüsterte er.
    Ihr schossen die Tränen in die Augen. Am liebsten hätte sie sich in seine Arme geworfen, aber nicht in der Kirche vor all diesen Leuten, die jetzt schon viel zu neugierig gafften. Sie kämpfte um Beherrschung.
    »Wer hat dir das angetan, mein Kind?«
    »Niemand«, sie vermied, ihn anzusehen.
    Der Abt warf
Domna
Anhes einen fragenden Blick zu, aber diese verkniff nur grimmig den Mund und schwieg.
Paire
Imbert seufzte. »Du willst mir also nichts sagen. Ich verstehe. Aber dem lieben Herrgott wirst du es doch wohl verraten können, oder?«
    »Ja,
Paire
«, hauchte sie. Dann zog sie den Schleier wieder vors Gesicht und schritt dem Beichtstuhl entgegen.
    »
Domna
Anhes, wenn Ihr erlaubt?«, sagte der Abt.
    Sie erlaubte. Und so war es immer, wenn Ermengarda zur Beichte kam, häufiger als man von einem jungen Mädchen erwartet hätte. Schließlich gab es bei ihrem zurückgezogenen Leben kaum etwas zu beichten. Der Grund lag darin, dass
Paire
Imbert ihr Vertrauter geworden war, und kein Ort war verschwiegener als ein Beichtstuhl. Oft zogen sie sich auch stundenlang in die Sakristei zurück, denn immer wollte sie alles wissen über Gott, über ihre Familie, über die lange Geschichte der Vizegrafschaft, und war dabei so versessen auf Einzelheiten, dass der Abt nicht selten alte Folianten und Klosterannalen zu Rate ziehen musste. In letzter Zeit hatte sich ihr Eifer vermehrt auf die Frage gerichtet, was denn eine gerechte Herrschaft ausmache.
    Domna
Anhes saß währenddessen für gewöhnlich auf einer Bank und wartete geduldig, wie auch die Leibwachen vor dem Portal, bis Ermengarda ihr Herz erleichtert oder ihren Wissensdurst gestillt hatte.
    Abt Imbert war jünger, als seine gebeugte Haltung und schlohweißen Haare vermuten ließen. Jünger im Herzen auf jeden Fall, denn auch er liebte diese Gespräche. Hier war ein noch ganz junger Mensch, mit wachem Geist und klüger als mancher Erwachsene, und redete mit ihm, vertraute ihm Geheimnisse an. Immer hörte er geduldig und aufmerksam zu.
    Das schien ihr gutzutun. Manchmal stritten sie über den einen oder anderen Gedanken, oder sie lachten über eine witzige Beobachtung, dann wieder flüsterten sie wie zwei Verschwörer. Aber immer genossen sie die vertraute Gegenwart des anderen. Wenn er mit ihr sprach, wurde er selbst wieder jung.
    Doch heute musste etwas Schreckliches geschehen sein. Ermengarda kniete neben dem Beichtstuhl und hielt den Kopf gesenkt. Lange schwieg sie. Er spürte ihre Qual, obwohl ihr Gesicht nur undeutlich durch den Schleier und im Dämmerlicht der Beichtnische hinter dem Hochaltar zu erkennen war. Aber er stellte keine Fragen, bedrängte sie nicht, sondern wartete geduldig, dass sie sich ihm offenbarte.
    »Ein böser Streit«, flüsterte sie nach einer Weile. »Zwischen meiner Stiefmutter und mir.« Fast konnte er sie nicht verstehen, so leise sprach sie, und er musste sein Ohr dicht an den trennenden Lattenrost legen. »Sie hat mich geschlagen und nach mir getreten, als ich am Boden lag. Doch gewiss ist es meine Schuld. Ich habe ihr nicht genug Achtung gezollt. Ich habe Dinge gesagt, die sie zornig gemacht haben.«
    »Was für Dinge,
ma filha?
«
    Ermengarda stockte. Er spürte, wie sie mit sich rang. Schließlich kamen die Worte, hastig, als wolle sie ein Gift ausspucken. »Dass ich mich weigere, den Grafen von Tolosa zu heiraten.«
    »Was?«, entfuhr es ihm. Er setzte sich aufrechter. »Habe ich dich richtig verstanden? Du sollst Alfons heiraten?«, flüsterte er.
    Sie sah zu ihm auf, zerrte den Schleier beiseite, um ihn besser sehen zu können. »Ich muss es doch nicht, oder? Sagt mir, dass ich das nicht muss.« Tränen liefen ihr über die geschwollenen, von Blutergüssen verfärbten Wangen.
    »Mein Gott, Kind. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
    Paire
Imbert war bestürzt. Eine Schwächung der vizegräflichen Herrschaft wäre auch für das Kloster verheerend, denn der Gemeinschaft der Brüder von Sant Paul Serge war es unter dem Schutz und der Großzügigkeit der Fürstenfamilie gut ergangen.
    »Natürlich.
Comtessa
Faidivas Tod …«, murmelte er.
    »Aber dann bekommt er Narbona als Mitgift. Das hätte mein Vater nie gewollt.«
    »Nein. Eher hätte man ihn in Stücke hauen müssen.«
    Ermengardas Urahne, der erste Aimeric von Narbona, hatte sein Lehen vom großen Carolus selbst erhalten, für Heldentaten, von denen noch immer die Lieder kündeten. Wenn auch das Fürstentum nicht groß war, aber stets waren seine Herrscher stolz

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