Die Comtessa
des heiligen Paulus, der in der grauen Vorzeit des Christentums gekommen war, die gallischen Stämme zum rechten Glauben zu bekehren, und der so das Bistum von Narbona begründet hatte.
Nur die Krypta selbst und die römische Nekropolis neben der Kirche stammten noch aus jener Zeit, die Basilika hingegen war in ihrer langen Geschichte mehrfach zerstört und neu errichtet worden. In den Jahren des großen Frankenkönigs Carolus Magnus war ein Kloster hinzugekommen, dessen Mönche das Andenken des Heiligen pflegten, täglich die Messe lasen und für die abertausend Pilger, die nun jährlich in die Stadt strömten, fromme Gebete gen Himmel sandten. Selbstverständlich nur gegen eine großzügige Gabe für den Opferstock des Heiligen.
Kloster und Kirche unterstanden von alters her dem Willen des Erzbistums. Doch in jüngster Zeit hatten die Äbte sich vom Bistum zu befreien gesucht und standen daher den Vizegrafen nahe, die solche Bemühungen durch großzügige Schenkungen ermutigten. Es war also nicht verwunderlich, dass der gegenwärtige Abt, der ehrwürdige
Mossenher
Imbert,
Vescoms
Aimerics Beichtvater gewesen war und dass diese Hirtenpflicht nun auf die junge Erbin übergegangen war.
Ermengarda kniete vor dem Bildnis des Heiligen in einer Seitenkapelle. Sie hatte eine Kerze an den vielen anderen entzündet, die hier brannten und im Halbdunkel des Kirchenschiffs eine Insel aus warmem, goldenem Licht bildeten. Fromm hielt sie die Hände gefaltet, den Kopf zum Gebet gesenkt.
Neben ihr kniete
Domna
Anhes, die sie wie immer aus Anstandsgründen zum Kirchgang begleitete, während zwei bewaffnete Leibwächter draußen vor dem Portal der Basilika warteten. Niemals konnte sie sich ohne solche Begleitung irgendwo hinbegeben. Wie gern wäre sie manchmal allein durch die Stadt gestreift. Wie es wohl wäre, als einfache Magd geboren zu sein? Oder als Mann, denn ein Mann konnte tun und lassen, wie ihm beliebte.
Ihr war nicht nach Beten zumute. Niedergeschlagen und verzweifelt starrte sie in die tanzenden Kerzenflammen. Die Schwellungen und Blutergüsse auf dem linken Wangenknochen und um ihr Auge brannten wie Feuer, die aufgeplatzte Lippe behinderte sie beim Sprechen, und auch die Rippen schmerzten bei jedem Atemzug. Ganz benommen war sie noch von der Wut des tätlichen Angriffs ihrer Stiefmutter. Nie zuvor war so etwas vorgekommen. Zwar war sie an la Belas Kühle und strenge Art ihr gegenüber gewöhnt, aber nicht an solchen Hass.
Sie schielte zu
Domna
Anhes hinüber, die mit geschlossenen Augen und steifem Rücken neben ihr kniete, während die schmalen Jungfernlippen tonlos die üblichen Gebetsbeschwörungen formten. Das war
Domna
Anhes, verschwiegen, zurückhaltend, pflichtbewusst. Nie hörte man von ihr eine eigene Meinung oder Anteilnahme. Auf Ermengardas Wunden hatte sie eine heilende Salbe aufgetragen, aber sich sonst nicht zu dem Vorfall geäußert. Wo Ermengarda ein wenig mütterliche Zuwendung gebraucht hätte, erhielt sie nur unbeteiligtes Schweigen. Was für ein kalter Fisch diese Frau doch war. Zum Glück gab es Nina. Ohne ihre kleine Schwester hätte sie es in diesem Palast schon lange nicht mehr ausgehalten.
Doch in Anbetracht der schrecklichen Eröffnung, die man ihr heute gemacht hatte, war dies alles gänzlich unwichtig und ohne Bedeutung. Sie sollte den Grafen von Tolosa heiraten? Einen für sie schon alten Mann, der sie achtlos wie ein Stück Fleisch beim Metzger erwarb, der sie nicht einmal kannte und dem nur an der Vizegrafschaft gelegen war? Seit vier Jahrhunderten herrschte ihre Familie in Narbona. Wie konnte la Bela da zustimmen, die Vizegrafschaft an Tolosa zu verschachern? Dieser Verrat an ihrer ehrwürdigen Familie, am Andenken des Vaters, das war schlimmer als ihr eigenes Schicksal. Und die Hochzeit sollte schon in wenigen Tagen stattfinden. Ihr wurde ganz heiß und fast übel bei dem Gedanken.
Schnelle Schritte und das Rascheln eines Priesterhabits näherten sich. »Meine Tochter, wie schön, dich zu sehen«, hörte sie die Stimme des Abtes hinter sich. »Und meine verehrte Anhes, der Herr segne Euch.«
Domna
Anhes hatte sich zuerst erhoben, um
Paire
Imbert zu begrüßen. Ermengarda zögerte noch einen Augenblick, denn trotz Mantel und Schleier war es ihr unangenehm, sich in ihrem Zustand zu zeigen.
»Bruder Berat sagte mir gerade, dass du …«
Der Abt stockte. Trotz ihrer Vermummung war ihm nichts entgangen. Sanft zog er den Schleier zur Seite. »Gütiger Gott! Was ist geschehen?«,
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