Die Comtessa
zusammengezogen. Trotz dieser Beherrschtheit schien sie ihm doch sehr verwundbar. Er konnte ihre Einsamkeit spüren, und es überkam ihn das plötzliche Bedürfnis, ihr Mut zu machen.
»Ich kenne den Palast nicht, aber es wird doch wohl einen Weg geben, unbemerkt hinauszukommen«, sagte er in die Stille hinein. »Ein Fenster, dann übers Dach bis auf die Stadtmauer …«
»Am helllichten Tag?«, fragte Felipe.
»Selbstverständlich nachts. Das ist die einzige Möglichkeit.«
Doch niemand ging darauf ein. Felipe war aufgesprungen und wanderte grübelnd in der Sakristei umher. Unmöglich, etwas vor der verdammten Trauung zu unternehmen. Der Abt seufzte bekümmert, Ermengarda war immer noch in Gedanken versunken und schien nicht zuzuhören.
Auf einmal setzte sie sich auf. In ihren Augen leuchtete es.
»
Paire
Imbert. Ihr habt gesagt, die Ehe muss vollzogen werden, nicht wahr? Sonst gilt selbst die Trauung nicht.«
Der schüttelte ungläubig den Kopf und hob beschwörend die Hände. »Du willst doch nicht etwa deine Ehepflichten verweigern? Kind, Kind! Ich fürchte, du rennst in dein Unglück, wenn du dich ihm widersetzt.«
Sie erhob sich und funkelte ihn an. Wie eine Löwin sah sie plötzlich aus. »Ich renne in mein Unglück, wenn ich mich wie ein Lamm zur Schlachtbank führen lasse«, rief sie scharf.
Der Abt zuckte zusammen, denn diesen Ton war er nicht von ihr gewohnt. Und auch Arnaut und Felipe waren erstaunt über die plötzliche Verwandlung.
Doch gleich beherrschte sie sich wieder.
»Escusa, Paire«,
sagte sie in gemäßigtem, jedoch nicht weniger festem Ton, der keinen Zweifel über ihre Entschlossenheit zuließ. »Es gibt noch einen Weg. Alfons wird nicht gewinnen.«
Einen Augenblick lang blieb es still. Dann dämmerte dem Abt, was sie vorhatte. »Du meinst das Beilager.«
Felipe sagte: »Ich verstehe nicht.«
Paire
Imbert räusperte sich. »Ihr wisst, wie es bei Hochzeiten Sitte ist. Am frühen Abend des Hochzeitstags wird feierlich und unter großem Gefolge die Braut heimgeführt, in diesem Fall bis zum Palast des Grafen in lo Borc, ist es nicht so?«
Ermengarda nickte.
»Und dort findet später dann das Beilager statt, ihr wisst, wovon ich rede, bei dem die frisch Vermählten von den Noblen der Stadt aufs gemeinsame Ehelager geleitet werden.«
Ermengarda verzog das Gesicht, als ob allein der Gedanke ihr schon Übelkeit verursache. »Ohne Beilager ist die Ehe nicht vollzogen«, sagte sie dann aber mit Genugtuung. »Wir müssen also am Nachmittag fliehen, nach der Trauung.«
»Mitten im Trubel des Festgelages?«, fragte Felipe ungläubig. »Weißt du, was du da sagst?«
Sie setzte sich wieder. »Es muss doch möglich sein, Felipe. Ich verkleide mich, wie wir verabredet hatten. Wenn ihr wollt, schneide ich mir die Haare ab. Und reib mir Dreck auf die Wangen. Außerdem findet am Nachmittag das Fest statt. Alle werden auf dem Marktplatz feiern und betrunken sein.«
Sie wandte sich beschwörend an Arnaut, als wüsste er es besser. Auch Felipe fragte ihn: »Was hältst du davon?«
Alle sahen ihn an, selbst der Abt. War es denn seine Entscheidung? Ihm war klar, wenn er den Plan für gut befände, dann würde er nicht mehr zurückkönnen. Besser, er redete ihnen die Sache aus, dieses unausgegorene Vorhaben einer Halbwüchsigen. Am hellen Tag auch noch! Das musste ja auffliegen. Jeder könnte sie auf dem Weg aus der Stadt erkennen. Sein Magen verkrampfte sich bei dem Gedanken.
Da merkte er, wie Ermengardas klare Augen auf ihm ruhten. Er wich ihnen aus, ließ seinen Blick zu den groben Spuren wandern, die la Bela
s
Fäuste hinterlassen hatten. Aber das half auch nicht. Es machte ihn nur wieder wütend. Wie hatte man ihr solche Gewalt antun können? Die Erbin von Narbona wie eine gemeine Magd verprügelt und gedemütigt. Darüber konnte man fast vergessen, was sie daheim sagen würden, wenn er eine solche Dummheit begehen würde. Und dann stellte er sich ihre jungfräuliche Gestalt vor, wie sie zitternd und in dünnem Hemd unter anzüglichem Gejohle und dem Beifall der halben Stadt ins Bett des Grafen steigen musste.
Er runzelte die Stirn und starrte ihr scharf in die Augen.
»Seid Ihr denn mutig genug,
Domina?
«
Sie ertrug den Blick, ohne zu wanken.
»Ich will es sein, wenn Ihr es seid.«
»Dann werden wir tun, wie Ihr gesagt habt.«
[home]
Arnaut
»Glück wird durch Aufschub süßer, und es ist besser, ein kleines Glück später, als ein großes gleich zu kosten.«
Chrétien de
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