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Die Comtessa

Die Comtessa

Titel: Die Comtessa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Schiewe
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in den Steinstufen der gleichmäßig ansteigenden Ränge klafften gewaltige Lücken, und in der Mitte, wo Gladiatoren mit Löwen gekämpft hatten, wucherten Steineichen, Ginster und Holunder.
    Trotz Verbot der Fürsten bedienten sich heimlich viele an den Steinblöcken der Ruine. Bald würde sie gänzlich verschwunden sein, denn die fortschreitende Ausdehnung der Vorstädte erzeugte einen immerwährenden Hunger nach billigen Quadern.
    Arnaut blickte lange in alle Richtungen.
    Gen Süden erstreckten sich die Häuser der Vila Nova, die unterhalb der Stadtmauer der Ciutat das Nordufer der Aude einnahmen. Dort war auch die Herberge, in der er seit seiner Ankunft genächtigt hatte, und gegenüber, auf der anderen Seite des Flusses befand sich La Morguia, das Ölhändlerviertel von lo Borc, in dessen Nähe Severin mit den Pferden auf sie wartete. Wenn er dort überhaupt noch war, denn nun war alles anders geworden.
    Nach Norden zu erkannte er die Straße nach Gruissan, die sie während ihres Ausflugs ans Meer genommen hatten. Zwischen der Ruine und der Straße erstreckte sich größtenteils Ödland, mit Ausnahme einiger verwahrloster Hütten und Bretterbuden.
    »Wer haust da?«, fragte er.
    »Aussätzige, soviel ich weiß.« Ermengarda zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Sie betteln gern drüben bei der Straße, wo Kaufleute und Seeleute von den Schiffen kommen. Es gibt sie auch an anderen abgelegenen Orten. Eine Plage, wirklich.«
    Es war später Nachmittag, fast schon Abend. Nach dem Guss am Morgen hatte es nicht mehr geregnet. Dennoch hingen dicke Wolken graubleiern am Himmel, und ein kühler Wind fegte über die Landschaft. Auf der fernen Straße konnte er ein paar Karren erkennen, ansonsten schien alles ruhig. Kein Soldat weit und breit. Trotzdem fühlte Arnaut sich nicht wohl hier, denn sollte ein Suchtrupp die Gegend durchkämmen, würden sie gewiss bei der Ruine nachschauen.
    Er dachte an den Mann, den er getötet hatte. Wie überraschend leicht das gewesen war. Und doch so grauenvoll. Das heiße Blut, das sich über seine Hand ergossen hatte, die Zuckungen eines Menschen im Todeskampf. Er hatte es oft genug geübt, aber Strohsäcke und Vogelscheuchen bluten nicht.
    Er versuchte, sein Gewissen damit zu beruhigen, dass der Kerl ihm keine Wahl gelassen hatte, als er Ermengarda mit dem Dolch überfiel. Außerdem hätte er Alarm schlagen können. Aber hatte der Mann sie wirklich bedroht? Arnaut war sich nicht mehr so sicher. Vielleicht hätte er ihn besinnungslos schlagen können, aber es war alles so schnell gegangen. Und jetzt war es zu spät.
    »Ist dir nicht zu kalt?«, fragte er.
    Sie schüttelte schüchtern den Kopf und sah auf den Boden. »Meinst du, wir schaffen es?«
    »Warum nicht?«, grinste er. »Wenn wir es bis hierher geschafft haben, ist alles möglich.«
    Sie warf ihm einen verunsicherten Blick zu.
    »Und wenn Felipe uns nicht findet?«
    »Dann stehlen wir irgendwo ein paar Pferde.«
    »Als ob das so einfach wäre.«
    »Sie werden uns schon finden. Auf Severin ist Verlass.« Er rieb sich die Arme warm und wünschte, er hätte einen Umhang dabei wie Ermengarda. Seine Sachen waren alle bei den Pferden. »Was hast du vor, wenn wir in Carcassona sind?«
    Sie starrte lange vor sich hin, während sie nachdachte.
    »Ich weiß nur, dass
Paire
Imbert sagt, die Fürsten regieren die Welt, und die Herrschaft geht vom Vater auf den Sohn über. Meine Brüder sind tot, und so ist es an mir. Das ist Gottes Wille.«
    Arnaut riss einen Grashalm aus, kaute darauf herum und überlegte.
    »Und wie willst du dein Recht durchsetzen?«, fragte er.
    »Ich zähle auf die Trencavels.«
    »Aber das könnte das Falsche sein.«
    »Was meinst du?«
    »Auf die Brüder Trencavel zu vertrauen, meine ich. Die benutzen dich vielleicht auch nur für ihre Zwecke.«
    »Aber wem soll ich sonst vertrauen?«, klagte sie.
    »Außer mir, meinst du?« Er lächelte sie so schalkhaft an, dass sie lachen musste.
    »Außer dir natürlich.«
    »Daheim wagt keiner unserer Nachbarn, sich mit uns anzulegen. Das ist, weil wir Freunde haben. Aber hauptsächlich, weil wir streitbare Leute sind. Wir haben Männer unter Waffen und den Mut, sie einzusetzen. Was ich sagen will, du brauchst ein Heer.«
    »Ein Heer? Und wie soll ich das herzaubern?«
    »Das weiß ich nicht.« Er zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nur, man braucht einen dicken Knüppel, um den Wolf zu vertreiben.«
    »Einen dicken Knüppel?« Sie kaute unschlüssig auf ihrer Unterlippe.

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