Die Comtessa
Hütte wurde ein grobes Sacktuch beiseitegeschoben, und zwei gebückte Gestalten schlurften hinkend heraus. Sie waren in unsägliche Lumpen gekleidet, Hände in zerfranste, schmutzige Binden gewickelt, das Haupt halb verhüllt.
»Was wollt ihr?«, krächzte die Stimme einer alten Frau. Als sie den Kopf hob, sah man ihr grässlich entstelltes Gesicht. Graue, aufgeworfene Haut von schrecklichen Furchen durchzogen, die Nase wie von Würmern zerfressen. Nur die Augen starrten klar und vorwurfsvoll auf die Reiter. »Was stört ihr uns?«, fragte sie noch einmal aus zahnlosem Mund.
Joan zerrte erschrocken am Zügel seines Gauls, der unruhig ein paar Schritte rückwärtstänzelte. Auch die Männer an seiner Seite nahmen Abstand und bekreuzigten sich.
»Habt ihr jemanden gesehen, Mütterchen?«, rief Joan, der sich wieder gefasst hatte.
»Wen sollen wir denn gesehen haben?«
»Flüchtende. Ein junges Mädel. Und ein paar Kerle dazu.«
»Hier sind nur wir«, kam die Antwort.
»Bist du sicher?«
»Wenn du mir nicht glaubst, Süßer, dann komm doch in meine Hütte. So einem stattlichen Kerl wie dir koch ich gern ein Süppchen. Sogar ein bisschen mehr kannst du kriegen, wenn’s sein darf.« Die Alte lachte scheppernd. »Einen wie dich hab ich schon lange nicht mehr gehabt.«
Auch die andere Gestalt grinste zum Fürchten.
»Ich glaube, ich verzichte fürs Erste«, knurrte Joan.
»Ein paar Fackeln auf die verdammten Buden«, ließ sein Unterführer vernehmen, »und das Ungeziefer ist rasch getilgt.«
Joan warf ihm einen gereizten Blick zu. »Gott hat die armen Schweine schon genug gestraft. Außerdem … wir haben noch das Brachland da drüben bis zur Straße zu durchsuchen. Beeilt euch gefälligst, bevor es dunkel wird!«
Sein Magen hatte sich gemeldet. Höchste Zeit, dass sie wieder in die Stadt kamen. Er wandte sich der Alten zu, hob die Hand zum Gruß und folgte seinen Männern.
***
Es wurde für Ermengarda die schlimmste Nacht ihres bisherigen Lebens. Es war ihr, als sei sie in die Welt der Trolle und Kobolde hinabgestiegen oder gar in Luzifers Höllenreich.
Buckelige Gestalten mit verzerrten Fratzen wankten herein. Die alte Frau, die draußen mit den Reitern geredet hatte, und ihre Helferin unterhielten ein wärmendes Feuer und rührten in einem großen Suppentopf wie Hexenmeisterinnen, die einen Zaubertrank bereiteten. Das Flackern der Flammen durchdrang nur mühsam das düstere Innere der Hütte und warf tanzende Schatten auf die seltsamen Wesen, die sie neugierig anstarrten.
Die Verwüstungen auf den Gesichtern dieser Menschen nahmen Ermengarda vor Entsetzen den Atem. Mancher hatte Auge oder Ohr verloren, der Mund nur ein schiefes Loch ohne Lippen, andere versuchten, den Suppennapf mit kurzen Stummeln zu fassen, wo einst Finger gewesen waren. Einige wenige hatten nicht mehr als feurig geschwollene Flecken auf der Haut. Am häufigsten aber waren die hässlichen braunen Knoten, die wie fette Geschwulste Gesicht und Arme bedeckten. In einer Ecke, auf einem Lumpenlager, lag ein alter Mann, den sie fütterten.
Schrecklich hatte die Krankheit ihn zugerichtet, nur noch Höhlen im Gesicht, abgemagert war er, sein Atem keuchte schwach.
»Gott wird ihn bald erlösen«, murmelte die Alte. Sie füllte einen Napf mit dampfender Suppe und hielt ihn hin. »Iss, mein Kind.«
Doch Ermengarda schüttelte den Kopf.
»Ich kann nicht«, flüsterte sie.
Der Gedanke, auch nur einen Bissen von einer Aussätzigen zu nehmen, drehte ihr den Magen um. Auch Arnaut lehnte dankend ab. Jori dagegen zeigte keine Hemmungen und schlürfte zufrieden seine Suppe.
Die Alte hockte sich ihnen gegenüber auf den Boden aus fest gestampfter Erde. Es fiel Ermengarda schwer, ihr ohne Furcht in das entstellte Gesicht zu sehen, aber sie zwang sich dazu.
»Ich danke dir für deine Hilfe«, brachte sie hervor.
Die Frau lächelte, wenn man diesen Anblick lächeln nennen konnte. Sie winkte eine jüngere heran, sich zu ihnen zu setzen. Auch ihr Gesicht war von Flecken und Knoten verunstaltet, aber die Krankheit war noch nicht so weit vorangeschritten.
»Das hier ist Maria«, sagte die Alte. »Sie hat früher in deinem
palatz
gearbeitet. Als Dienerin der Vizegräfin.«
»Mein Gott. Ist das wahr?«
Maria nickte schüchtern lächelnd. »Ich kannte noch Eure Mutter, Herrin. Und auch die jetzige
domina.
«
»Ich erinnere mich nicht an dich.«
»Ihr wart noch jung, als ich gehen musste. Außerdem …« Die Hand fuhr ihr unwillkürlich an die
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