Die Comtessa
»Aber woher nehmen?«
»Darf ich dir einen Vorschlag machen?«
»Natürlich.«
»Wir reiten zuerst nach Fontfreda und nicht nach Carcassona. Zumal die Straßen nach Carcassona ohnehin von Alfons’ Männern überwacht werden. Wenn du denen nicht in die Arme laufen willst …«
»Du meinst das Kloster Fontfreda? Was sollen wir dort?«
»Ich kenne da jemanden. Aus meiner
familia.
Dem kannst du trauen. Er ist ein kluger und gelehrter Mann und war an allen großen Höfen. Er wird dir raten, was zu tun ist.«
»Und wie heißt er?«
»
Fraire
Aimar. Aimar de Rocafort.«
»Noch nie von ihm …« Sie brachte den Satz nicht zu Ende, denn auf einmal gewahrte sie eine schmale Gestalt zwischen den Trümmern. »Da ist jemand«, flüsterte sie erschrocken.
Arnaut starrte angestrengt hinüber. Dann erhellte sich seine Miene. »Ich will verdammt sein!«, lachte er. »Es ist Jori.«
»Wer ist Jori?«
»Du wirst ihn gleich kennenlernen.«
Freudig winkte er den Jungen heran. Der bahnte sich seinen Weg durch Gräser, Disteln und Büsche, bis er heftig atmend vor ihnen stand.
»Die anderen sind krank vor Sorge«, sagte er und lächelte glücklich. »Mich haben sie geschickt, weil ich mich hier auskenne.«
»Und weil du den Wachen nicht auffällst«, grinste Arnaut und fuhr ihm mit der Hand durch die Haare. Dann stellte er ihn Ermengarda vor. »Einer deiner zukünftigen Untertanen«, lachte er.
Jori wurde schrecklich rot, und als Arnaut nach Neuigkeiten aus der Stadt fragte, wollte er erst die Zähne nicht auseinanderkriegen. Doch bald legte sich seine Scheu vor Ermengarda, und er berichtete, was er gesehen hatte.
»Überall schnüffeln Wachen herum. Die Brücke haben sie abgeriegelt, jedermann wird überprüft. Inzwischen wissen alle, was geschehen ist, und die ganze Stadt lacht sich krumm.«
»Die da drüben sind aber nicht zum Lachen«, sagte Arnaut unvermittelt. Er deutete in Richtung Vila Nova, wo ein Trupp bewaffneter Reiter aufgetaucht war. Sie verteilten sich und begannen sorgfältig, Felder und Brachland zu durchsuchen. »Wird nicht lange dauern, bis die hier sind,
putan!
« In der Erregung vergaß er, sich für den unflätigen Ausdruck zu entschuldigen.
Hastig sah er sich nach einem weniger auffälligen Versteck um. Die Straße nach Gruissan wurde gewiss überwacht. Offene Felder sollten sie meiden. Am besten wäre es wohl, sich irgendwo tief ins Gebüsch zu schlagen. Er hoffte, die Reiter hatten keine Hunde dabei. Ihre Verkleidung als Wachen der Vizegräfin würde keiner näheren Überprüfung standhalten. Vielleicht wusste man gar schon von dieser List und suchte nach zwei Flüchtenden mit dem Wappen der Vizegrafen auf der Brust. Er riss sich das
sobrecot
vom Leib und bedeutete Ermengarda, das Gleiche zu tun.
»Steck es in dein Wams. Könnte noch mal nützlich werden.« Er packte Jori am Arm. »Wenn du dich hier so gut auskennst, dann zeig uns ein Versteck, wo sie uns in keinem Fall vermuten würden.«
Der Junge dachte nicht lange nach und zeigte auf die Hütten.
»Bei denen da!«
»Bist du verrückt? Doch nicht bei den Aussätzigen!«
»Genau das werden die Reiter auch denken«, grinste Jori.
»Da stecken wir uns doch an«, flüsterte Ermengarda entsetzt. »Sollen wir den Rest des Lebens als Aussätzige verbringen?«
Auch wenn sie diese Menschen flüchtig bedauerte, aber für sie waren Aussätzige der Abschaum der Welt. Man wagte sich nicht einmal in ihre Nähe. Mitleidige Seelen warfen ihnen Almosen hin oder Küchenabfälle. Sich freiwillig unter diese Verdammten zu mengen … allein der Gedanke jagte ihr Gruselschauer über den Leib.
»Ich bin oft bei ihnen gewesen«, sagte Jori unbekümmert. »Letzten Winter wäre ich fast erfroren. Da haben sie mich aufgenommen und durchgefüttert.« Er zeigte mit beiden Händen auf sein Gesicht. »Sehe ich aus, als hätte ich Aussatz?«
Arnaut runzelte die Stirn. »Und die würden uns verstecken?«
Jori nickte überzeugt. »Es sind gute Leute. Ich kenne sie.«
Arnaut suchte noch einmal sorgfältig den gesamten Umkreis von Horizont zu Horizont ab. Die Reiter waren näher gekommen. Man würde sich schnell entscheiden müssen. Als Ermengarda merkte, dass Arnaut sie nachdenklich anstarrte, stampfte sie mit dem Fuß auf den Boden.
»Nein! Da kriegt ihr mich nicht hin. Kommt nicht in Frage!«
»Wir haben keine Wahl. Sie werden uns fangen.«
»Nein. Ich geh da nicht hin«, sagte sie widerspenstig, in Furcht vor der schrecklichen Krankheit.
Arnauts sonst so
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