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Die Comtessa

Die Comtessa

Titel: Die Comtessa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Schiewe
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dunklen Schatten dösenden Viehs standen. Auf Menschen trafen sie nicht.
    Ermengarda war froh, dass niemand sprach. So viel war an diesem Tag geschehen, dass sie das Gefühl hatte, ihr Kopf müsse zerspringen. Auch schon in der Nacht davor hatte sie vor Aufregung nicht einen Augenblick schlafen können, nicht einmal in ihrem warmen, bequemen Bett im
palatz vescomtal.
    Obwohl der Abscheu vor den Aussätzigen sie fast überwältigt hatte, so konnte sie, nach dieser Erfahrung, nichts als tiefes Mitgefühl empfinden. Sie lebten in grausamer Erbärmlichkeit, mussten um jeden mageren Bissen kämpfen, schliefen auf verfaultem Stroh, waren nichts als Ausgestoßene, von allen verachtet. Und doch kannten sie Gemeinsinn und Erbarmen, hatten selbst ihr geholfen in der Not, ihr, der verwöhnten Fürstentochter. Und dies, ohne Bezahlung oder Gegenleistung zu fordern. Sie kam sich klein vor neben diesen Elenden. Was strebte sie nach Herrschaft, wenn so wenig zum Leben genügte?
    Nun, es soll ja nicht für sie allein sein, sagte sie sich. Wie
Paire
Imbert gern sagte: Wer hat, muss auch teilen. Ja, ein
hospitium
würde sie bauen, wenn Gott es ihr nur vergönnte.
    »Ich möchte mich entschuldigen«, raunte Arnaut plötzlich.
    »Was?«
    »Ich habe mich ungehörig benommen. Bei der Ruine.«
    »Ach was. Hab’s schon vergessen.« Sie drehte sich kurz um und grinste zu ihm auf. »Eigentlich hattest du ja recht.«
    Nach einer Weile fragte sie ihn: »Hast du keine Angst, dass wir uns angesteckt haben könnten?«
    »Doch, große sogar.«
    »Aber du zeigst es nicht.«
    Sie dachte schon, er hätte sie nicht gehört, aber dann sagte er: »Mein Onkel Raol sagt, ein Mann tut, was er tun muss. Jammern und Wehklagen hilft nichts. Außerdem kann niemand wissen, wann Gott ihn ruft. Deshalb sollte man sich darüber keine Gedanken machen.«
    »Und danach willst du leben?«
    »Ich versuche es.«
    Sie marschierten weiter, bis Jori den Finger auf die Lippen legte. »Seid jetzt leise«, flüsterte er. »Wir sind bald am Fluss.«
    Kurz darauf trafen sie auf einen breiten Fußpfad, dem sie Richtung Süden folgten. Durch die Büsche zu rechter Hand sah man Mondlicht auf dem Wasser schimmern. Endlich erreichten sie eine offene Stelle mit Zugang zu einer Art flachem Strand. Und dort lag ein Boot. Zwei dunkle Schatten ruhten daneben. Einer erhob sich und kam heran.
    »Jori? Seid ihr das?«, rief er leise.
    »Es ist Severin«, flüsterte Jori glücklich und rannte ihm entgegen. Die anderen folgten. Ihre Schritte knirschten auf dem Sand.
    »
Ome!
Bin ich froh, dich zu sehen.« Severin packte Arnaut an den Schultern und umarmte ihn stürmisch. »Ich hab dich schon verloren geglaubt.«
    »Es war haarscharf, das kannst du mir glauben«, lachte Arnaut.
    Severin schlug ihm noch einmal auf die Schulter. Dann wandte er sich an Ermengarda. »Wir sollten nicht viel reden,
Domina
«, flüsterte er. »Der Fischer weiß nicht, wen er rudern soll.«
    »Dann nenn mich nicht
Domina.
«
    Man sah Severins Zähne im fahlen Mondlicht, als er lachte.
    »Ich versuche, es mir zu merken,
Domina.
Aber jetzt kommt. Die anderen warten.«
    Sie näherten sich dem Boot. Der Fischer, ein knorriger Alter mit zotteligem Schnauzbart, viel mehr konnte man in der Dunkelheit nicht erkennen, hatte sein Gefährt ins Wasser geschoben. Die jungen Männer halfen Ermengarda hinein. Severin stieß ab und landete mit nassen Füßen im Boot. Dann glitten sie den dunklen Fluss hinunter.

Das Kloster zur kühlen Quelle
    E in Fischer hat die Bande über den Fluss gerudert«, sagte Tibaut.
    Er war zu Ermessenda geeilt, um zu berichten. Tibaut war einer der wenigen bei Hofe, die im Notfall Zutritt zu den Gemächern der Fürstin hatten. Und zweifellos rechtfertigte die gegenwärtige Lage sein ungestümes Vordringen in ihre Kammern.
    Dem strahlend blauen Mittagshimmel zum Trotz saß die
vescomtessa
im Halbdunkel der angelehnten Fensterläden übernächtigt und übel gelaunt im Bett. Lustlos schob sie ihr Morgenmahl von sich, denn die halbe Nacht hatte sie nicht schlafen können, und ihr Kopf fühlte sich an, als würde man heiße Nadeln hineinstechen.
    »Ein Fischer? Woher weißt du das?«
    »Der Mann hat sich soeben gemeldet.« Tibaut grinste spöttisch. »Ich hab ihm den Tag fürstlich versilbert, dein Einverständnis vorausgesetzt.«
    La Bela nickte abwesend. »Sie war also nicht allein.«
    »Das wäre auch sehr unwahrscheinlich gewesen. Da steckt Plan und Vorbereitung dahinter, das wird sie sich nicht selbst

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