Die Containerfrau
Befehl.
»Verstanden«, gibt sie zurück und steuert einen Parkplatz am Fjellseterveg an. Sundts heißer Tipp bezüglich des »richtigen« Teufelswaldes war ein Schuss in den Ofen. Dort waren nur ein Rentnerehepaar in Anoraks, zwei Studierende der Technischen Hochschule mit Trikots, ein Jogger mit am Leib klebenden blauen und rosa Textilien und ein alter Mann samt Hund zu finden. Sie hält an, mustert den Waldrand, steigt aus, zeigt allen Spatzen auf der Welt, dass sie allein ist, nimmt sich die Zeit zu einem kleinen Spaziergang. Nichts passiert. Kein Zweig bricht, kein Baumstamm erwacht zum Leben, keine Frau taucht auf. Aber die Gegend hier sieht ja auch nicht aus wie ein »Zauberwald«, denkt Anne-kin Halvorsen. Sie sieht aus wie ein ganz normaler norwegischer Nadelwald. Ehe sie sich wieder ins Auto setzt, schaut sie in den Wald hinein und verfolgt den Weg, auf dem sie an einem Abend vor einer empfundenen Ewigkeit die Plastiktüte verloren hat. Sie kämmt den Waldboden vor dem Bau geradezu aus, versucht, sich vor dem »Indianer« versteckt zu halten. Sie ist sicher, dass er dort oben ist. Das dünne Flackern in der Luft muss von einer Rauchsäule stammen. Also kocht er sich bestimmt sein übliches Drei-Gang-Mahl. Sie macht kehrt. Sucht weiter, aber die verdammte Plastiktüte bleibt unauffindbar. Sie findet nur einige Abdrücke im Waldboden, im Moos, neben einem umgestürzten Baum, die Abdrücke verspielter Körper. Wenn man das weiß. Es könnte sich sonst auch um das Nachtlager eines Elchs handeln.
Sie geht zum Auto zurück, steigt ein, setzt zurück, sucht eine Stelle zum Wenden. Findet eine und merkt, dass die Natur sie ruft. Sie muss ganz einfach. Zurück in den Wald. Sie findet sogar ein murmelndes Bächlein, in dem sie danach ihre Finger abspülen kann.
Als sie an der Stelle vorüberkommt, wo der Weg zum Damm und zum Biberbau des »Türken« abzweigt, steigt Kommissarin Halvorsen auf die Bremse.
Ist das nicht …? Ja verdammt, das ist er, denkt sie, verwirrt und wütend zur selben Zeit. Der Wagen, der mit dem rechten Rad weit über den Straßenrand hinaussteht, ist zwar ein Zivilfahrzeug. Aber der Fahrer hat normalerweise denselben Arbeitsplatz wie sie. Der gute alte Veteran-Aasen, einer der Ermittler im Trinkermord. Ein Ermittler mit allerlei Kratzern im Lack, einer, der allerlei richtige Spuren »findet«, Information, die im Protokoll niemals aufgetaucht war und dann plötzlich ein Teil des Falls ist. Veteran-Aasen erhält mehr telefonische Hinweise als irgendwer sonst auf der Wache. Anonym. So heißt es jedenfalls offiziell, »anonyme Hinweise«, heißt es. Anne-kin Halvorsen findet diesen Typen gar nicht schlecht, beide machen sie gern mal einen Schritt in die Grauzone. Und so lange er, der schon so lange bei der Truppe ist, nicht gefeuert wird, wird sie wohl auch noch eine Weile überleben. Hat sie mehr als einmal gedacht. Zum Trost. Doch, sie findet Aasen nicht schlecht. Aber reichlich schlecht findet sie, dass er in diesem Augenblick durch Tannenwald und Blaubeersträucher auf die Hütte des »Türken« zukeucht. Der neue Mieter wird keine Sekunde zweifeln, er wird glauben, sie habe nicht dichtgehalten. Er wird überaus total stocksauer sein, weil sie das »gentlemen’s agreement« gebrochen hat, auf dem solche Gesangskünste basieren. Der »Indianer« wird sie von nun an scheuen wie die Pest und ihr nicht ein Gramm Information mehr zukommen lassen. Verdammt! Veteran-Aasen hat sich sicher diesen Tipp gekauft, denkt sie. Jemand hat ihm erzählt, dass auch der »Indianer« in der fraglichen Nacht zu den Suffbrüdern gehört hat. Sie würde gern durch den Wald rennen und Veteran-Aasen aufhalten, ihn zum Auto zurückziehen und ihn bergab und wegscheuchen. Wütend starrt Kommissarin Halvorsen die Wand aus dunkelgrünem Tannenwald an, reißt an der Kupplung und ist reichlich stinkig. Ihre Laune bessert sich auch nicht, als sie um eine Kurve biegt und eine himmlische Heerschar von Ausflüglern vor sich sieht, eine ganze Kuhherde. Vorneweg die männliche Leitkuh, er bleibt stehen, um die Herde um sich zu sammeln, sie umringen ihn. Versperren die Straße. Kommissarin Halvorsen muss bremsen. Anhalten. Ist das eine der von der Jubiläumsstadt Trondheim organisierten Wallfahrten, fragt sie sich. Aber diese Leute sehen wirklich nicht aus wie Pilger, sie sieht kein Kreuz und keine Kutte. Aber die Straße versperren, das können sie. Sie würde gern hupen, die Hupe misshandeln. Besinnt sich, kurbelt das
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