Die Cromwell Chroniken: Kaltes Feuer
sehe das, was kommen wird. Es ist eine Art Vision der Zukunft, aber auch irgendwie nicht. Ich sehe in den Gesichtern der Menschen deren wahre Natur. Und die wahre Natur eines Menschen ist die der Vergänglichkeit.“
Er atmete tief durch.
„Äh … und was soll das heißen?“, fragte Valerian ungläubig.
„Es heißt, dass ich dich ansehe und dir sagen kann, wie du mal sterben wirst.“
Schluck … Oookaaayyy …
Betretenes Schweigen folgte.
„Und … wie sieht das … so aus?“
Flint warf einen fassungslosen Blick über seine Schulter.
„Was glaubst du wohl, wie es aussieht?“
Valerian spielte verlegen an einem Grashalm herum.
„Es sieht grauenhaft aus! Ich sehe, wie sich die Würmer durch deinen Schädel fressen, wie deine Haut langsam zerfleddert und herunterlappt und deine Augäpfel …“
„Ist ja gut!“, fiel ihm Linda schnell ins Wort.
„Wir … glauben dir, dass es schrecklich ist. Wir brauchen aber nicht jedes Detail zu kennen. Zumindest ich nicht …“
„Sorry“, murmelte der Geisterseher geknickt.
„Das ist ja widerlich! Das siehst du bei jedem von uns?“
Bedrückt nickte Flint.
„Bei jedem?“ Valerian konnte es nicht glauben.
„Ja, bei jedem.“
„Auch bei mir?“
„Ja.“
„Mist!“
Der Unsterbliche sah beleidigt aus.
„Du hattest deine ,Wandelung‘ ja noch nicht“, sagte Linda mit versöhnlicher Stimme.
„Trotzdem! Ich bin gerne eine Ausnahme! Siehst du es auch bei …“ Valerian blickte sich um. „… Tieren?“
„Ja, auch bei Tieren.“
„Und bei Kindern?“
Flint nickte nur depressiv.
„Auch bei Pflanzen?“
„Nein, nicht bei Pflanzen.“
„Warum nicht bei Pflanzen?“
„Valerian!“, versuchte sich Linda mahnend einzuschalten.
„Was denn? Das ist doch interessant!“
„Wäre es möglich, dass du mich nicht wie ein Forschungsobjekt durchleuchtest? Danke!“
Flint war wieder rot im Gesicht geworden und sein Tonfall war aggressiv.
Dann schwiegen alle.
Nach einigen zähen Minuten erbarmte er sich: „Pflanzen sind Teil des magischen Geflechts der Natur. Die Natur besitzt ihr eigenes Essenzfeld. Als solches ist sie unvergänglich und ein Grashalm ist es auch. Wenn ein Grashalm verdorrt, dann fällt er auf den Boden und dient als Humus, wird irgendwann Erde und so weiter. Er ist zu jedem Zeitpunkt Teil der Natur und der Kreislauf beginnt von vorn. Deshalb sehe ich nicht, wie die Pflanzen sterben. Tiere und Menschen werden auch irgendwann Teil der Erde, aber das war’s dann im biologischen Sinne. Sie werden nie wieder Teile von Tieren und Menschen sein – höchstens in Form von Nahrung. Es gibt keinen Kreislauf. Darüber hinaus haben sowohl Tiere als auch Menschen ihr eigenes Essenzfeld. Sie sind selbst Magiewirker … sozusagen.“
„Was? Tiere auch?“
„Im begrenzten Maße, ja. Hast du noch nie von Familiaren gehört?“
Nein, hatte er natürlich nicht.
„Sie können als Fokus dienen, wenn man Magie wirkt“, erklärte Linda hilfsbereit.
„Eh … ah ja … Ich kapier kein Wort!“
„Macht nichts! Wir werden das alles noch irgendwo im Unterricht besprechen, ganz sicher.“
Sie lächelte ihn aufmunternd an und widmete ihre Aufmerksamkeit wieder Flint.
„Tiere und Menschen haben ihr eigenes magisches Geflecht. Ihre eigene Essenz. Pflanzen haben das nicht“, fuhr Flint fort.
Valerian runzelte die Stirn. Ihm war gerade ein Gedanke gekommen. „He! Moment mal! Ich dachte, ich bin unsterblich?“
„Bist du noch nicht“, sagte Linda etwas verlegen.
Das machte Valerian unzufrieden. Die anderen hatten alle ihre magischen Fähigkeiten. Manche sogar seit ihrer Geburt. Nur er stand mal wieder hintenan.
Lindas folgende Worte katapultierten ihn allerdings schlagartig aus seinem Selbstmitleid. „Das tut mir sehr leid, Flint. Es muss sehr hart für dich sein, ständig solche schrecklichen Bilder vor Augen zu haben.“
Sie legte ihm mitfühlend einen Arm um die Schultern. Zu seinem Schrecken konnte Valerian sehen, dass Flints Augen feucht wurden, ehe er den Kopf senkte und knapp nickte. Das machte ihn noch unzufriedener. Einen wütenden Flint konnte er gut ertragen, aber einen resignierten hätte er am liebsten durchgeschüttelt.
Wie kann man sich nur so hängen lassen? Vom Rumjammern wird nie etwas besser! Das ist ja wohl nicht die neueste Erkenntnis!
Er behielt diesen Gedanken jedoch für sich.
„Gibt es irgendetwas … was diese ‚Bilder‘ … etwas dämpft?“, druckste Linda mühevoll herum.
Flint verzog das Gesicht
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