Die Cromwell Chroniken - Schicksals Pfade (German Edition)
gesucht, Betten Patienten zugeordnet, hatte Hände geschüttelt, gegrüßt, gelächelt und geredet. Aber er hatte nichts bewegt. Nichts verändert. Nun war der Tag vorbei und er fragte sich, was er überhaupt erreicht hatte.
Gar nichts.
Er bezweifelte sogar, dass es für die Patienten einen Unterschied gemacht hätte, wenn er nicht gekommen wäre.
Vermutlich hätten sie es gar nicht bemerkt.
Welche Worte konnten einen schwerkranken Menschen aufbauen?
Die des Glaubens.
Genau das hatte Graciano getan. Er hatte die Patienten, deren Akten er bekommen hatte, besucht. Er hatte sie gefragt, wie es ihnen gehe, und sich ihre Probleme angehört. Als er anbot, etwas aus der heiligen Schrift vorzulesen, waren die Antworten sehr unterschiedlich ausgefallen. Da gab es Patienten wie Frau Schulz, die stumm nickten, zuhörten und ihn reden ließen, ohne eine Reaktion zu zeigen. Oder Patienten wie Herrn Keller, die ihn wütend anfuhren, ob ihnen das etwa gegen die Schmerzen helfen würde, und aufgebracht vor sich hin fluchten. Oder sie waren wie Frau Reuter, die bemüht lächelten, obwohl man ihnen ansehen konnte, dass sie ihn gerade weit fort wünschten. Und dann gab es noch welche, die wie Herr Lang nicht verstanden, was er da sprach, weil ihnen ein Tumor aufs Gehör drückte oder weil der Hörsinn im Alter nachgelassen hatte. Das waren die schlimmsten. Graciano fühlte sich unwohl dabei, sie anzuschreien zu müssen.
Irgendwie habe ich alles falsch gemacht. Ich dringe einfach nicht zu ihnen durch. Es gibt so viele andere Orte, wo ich wirklich etwas Nützliches beitragen kann, aber hier?
Hier konnte er höchstens wieder etwas Menschlichkeit in Pfarrer Weyers Menschenbild bringen.
Nötig wäre es zwar, aber das ist nicht mein Platz. Es steht mir nicht zu, einem alten Pfarrer aufzuzeigen, wo seine Unzulänglichkeiten sind.
Seufzend setzte er sich auf. Er würde in der nächsten Stunde sowieso kein Auge zukriegen. Also griff er nach seiner Bibel und begann zu lesen.
Kapitel 33
Das Erste, was Valerian wahrnahm, waren bohrende Kopfschmerzen und ein übermächtiges Gefühl von Benommenheit. Er war unsagbar müde. Seine Augenlider fühlten sich wie Blei an, deshalb folgte er dem Bedürfnis, sie einfach geschlossen zu lassen. Sein Verstand setzte sich nur langsam in Bewegung. Irgendetwas hatte ihn geweckt. Was war es gewesen?
„Valerian?“, piepste eine ängstliche Stimme.
Ah, das war es!
Sein Kopf kippte leicht zur Seite. Das war die einzige Bewegung, die er zustande brachte.
Oh, oh! Das ist gar nicht gut. Wo bist du überhaupt?
Mühsam quälte er sich, seine Augen zu öffnen, doch sein Blick war zu verschwommen, um etwas zu erkennen.
„Valerian?“, ertönte das Piepsen erneut. Diesmal noch ein paar Töne höher.
„Hm“, brummte er.
„Valerian! Gott sei Dank! Ich stehe schon ganz lange hier und du hast dich die ganze Zeit nicht bewegt!“
Endlich war er wach genug, um die Stimme Maxi zuzuordnen. Sie sprach in einem leisen Flüsterton.
Warum so dramatisch? , wunderte er sich. Ich bin doch eben erst eingepennt.
Zum Beweis, dass es ihm gutginge, wollte er sich aufsetzen, doch er konnte sich nicht bewegen. Oh, oh!
Er versuchte es noch einmal. Schmerz schoss durch seinen Körper.
Was ist DAS denn?
Quälend langsam gelang es ihm, beide Augen einen Spaltbreit zu öffnen. Es war ein mühsames und kräftezehrendes Unterfangen. Er blinzelte einige Male, dann klärte sich sein Blick. Das, was er sah, gefiel ihm gar nicht: Nur einige Zentimeter entfernt entdeckte er Maxis besorgtes Kindergesicht.
Der Verstand des Unsterblichen funktionierte zwar nur langsam, doch er wusste augenblicklich, dass sie sich in Gefahr befanden.
„Maxi … mach dich … unsichtbar!“
Sofort verschwanden die großen Kulleraugen des Mädchens, genau wie der Rest von ihr.
Das Zweite, was er sah, gefiel ihm noch weniger.
Scheiße! Hier ist überall Blut!
Sein Blick glitt nach unten. Auch seine Kleider hatten sich rot gefärbt. Der Boden glänzte feucht, durch die dunkle Flüssigkeit beschmiert.
Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis sein Verstand sich weiter klärte – doch dann konnte er den Ursprung des Blutes ausmachen: Das war er! Sein ganzer Körper schmerzte.
Fühlt sich an wie Schnittwunden. Das erklärt auch, warum du dich so schwach fühlst. Himmel! Wie viele Liter sind das?
Unter Schmerzen hob er den Kopf und sah sich um. Es war noch Nacht, doch der Student vermutete, dass es bald Morgen werden würde. Der Raum war leer und
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