Die da kommen
unterbrochen, und ich habe eine Frau vom Notdienst am Telefon. Ich beantworte ihre Fragen, versichere, es sei ernst, gebe die Adresse an und bitte darum, dass sie sich beeilen. Legen Sie jetzt bitte auf, Sir. Wir tun unser Bestes.
Das heiße Wasser wird milchig, es bildet sich ein gallertartiger Schaum. Carbonara. Er mag Carbonara. Ich finde eine Packung Speck, schneide sie mit einem stumpfen Messer auf, mache mir die Hände fettig, wodurch ich fast in Panik gerate, weil es bestimmte Dinge gibt, die ich nur schwer ertragen kann. Ich werfe den Speck in eine Pfanne, und der Geruch des brutzelnden Fleischs ist geradezu überwältigend. Ich trenne über dem Spülbecken zwei Eier in Dotter und Eiweiß. Ich mache, was meine Mutter »eine Sauerei« genannt hätte. Als ich mit der Soße fertig bin, mische ich sie unter die Spaghetti, stelle einen gefüllten Teller auf den Tisch und zeige darauf. Kawumm. Ich sorge für Gabel und Messer und Löffel und ein Glas Milch. Ich könnte kotzen. Uuuaaah.
Er greift nach dem Salz und schüttet es in einem steten Strom über sein Essen. Schschscht. Ich halte ihn nicht davon ab. Mir ist von innen ganz schwindlig.
Kind Eins hat von einer funkelnden, weißen Wüste geträumt. Ist es das, was er will? Wartet er darauf, dass etwas in der Welt kippt, dass etwas die Zivilisation zurück in ein dunkles Zeitalter der Dschinns und Trolle und tokoloshi und rächenden Geister stürzt, die Ashok als »beschissene kleine Männchen« bezeichnete? Oder vorwärtstreibt in eine neue Art von Dunkelheit? Was will der Junge? Er verschüttet seine Milch. Ich wische sie nicht auf. Ich bin froh, dass er nichts sagt. Was gibt es schon zu sagen? Er ist ein siebenjähriger Junge, der beim Einschlafen CDs von Käpt’n Unterhose hört. Er lässt Spaghetti auf sein T-Shirt fallen und verschmiert die Soße um seinen Mund. Ich sage nicht, er soll sie abwischen.
Als es an der Tür klingelt – ding dong, kawumm, aaah, kawumm, aaah, kawumm, aaah –, kämpfe ich mit einem Kloß in der Kehle, der alle Geräusche bremst. Vielleicht ein Schluchzen, vielleicht auch Comic-Laute. Stephanie macht auf, ich höre, wie zwei Männer ihr Fragen stellen, ihre gemurmelten Antworten und das Geräusch schwerer Ausrüstung, die hereingeschoben oder -gezogen wird. Freddy scheint desinteressiert. Ich höre Stephanies verzweifelte Stimme, und dann steckt ein Mann – Südostasiate, vermutlich Malaie – den Kopf zur Küchentür herein. Er wirkt schockiert, weil ich gekocht habe, aber ich zeige auf Freddy.
Der Mann sagt: »Ich wollte nur Bescheid geben, dass wir losfahren. Ihre Freundin Stephanie fährt mit, war das so vereinbart?« Er hält mich wohl für Kaitlins Ehemann. Ich sehe keinen Sinn darin, ihn aufzuklären. »Normalerweise wäre das eine Angelegenheit für die Polizei. Aber die ist total überlastet. Ich gehe davon aus, dass Ihr Sohn ein schweres Verbrechen begangen hat. Das heißt, er kommt auf die Liste undwird in eine Pflegeeinrichtung gebracht. Bis dahin gilt eine Ausgangssperre für alle Kinder unter zwölf Jahren. Das Internet ist zusammengebrochen, ich würde an Ihrer Stelle das Radio einschalten, Sir. Achten Sie auf aktuelle Nachrichten.«
Ich sehe auf die Uhr. Es ist eine Stunde und zehn Minuten her, dass wir Kaitlin auf der Treppe gefunden haben. Ich bin kein Experte für medizinische Krisen. Allerdings schätze ich, dass die Zeit viel zu lang sein dürfte, um auf einen positiven Ausgang zu hoffen. Vierzig Sekunden später schlägt die Haustür zu, zwei Minuten und fünfzehn Sekunden danach wird die Sirene des Wagens eingeschaltet, nee-nuu, nee-naa. Dann bin ich allein mit Freddy.
Eine neue Zeitrechnung beginnt.
Mir wird klar, dass sie anderen Regeln gehorcht.
9
Als ich Freddy eine Stunde später ins Bett schicke, weist er immer noch Anzeichen von Orientierungslosigkeit auf. Ausnahmsweise widerspricht er mir nicht. Unten schalte ich den Fernseher ein, aber er funktioniert ebenso wenig wie das Internet, weshalb ich es mit dem Radio probiere.
Aufgrund der zunehmenden häuslichen Gewalt im ganzen Land hat das Innenministerium für alle Kinder unter zwölf Jahren eine Ausgangssperre verhängt und die Familien aufgefordert, ruhig, aber wachsam zu bleiben. Es wurden Hotlines für besorgte Personen eingerichtet, und die Armee wurde mobilisiert. In leeren Büro- und Schulgebäuden werden Pflegeeinrichtungen für gestörte Kinder eingerichtet, und zurzeit tagt COBRA , das Dringlichkeitskomitee der Regierung, um das
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