Die Daemonen 01 - Die Daemonen
geworden war. Es spielte auch keine Rolle. Alles, was half, Zeit vergehen zu lassen, war ihm willkommen.
Die Luft roch bald nach Tränen. Ab und zu wurde ihm Wasser von unten bis in Höhe der Hände geschoben, und Brot. Dann fiel für einen Augenblick Licht von den Füßen her, als würde er durch Wolken schweben, und seine Unterlage bewegte sich, sodass ihm schwindelig und schlecht wurde. Beides, das Wasser und das Brot, konnte er sich dann zittrig tastend zu Munde führen. Er würde nicht sterben. Man ließ ihn nicht sterben.
Da er keine Möglichkeiten sah, seine Notdurft zu verrichten, beschmutzte er sich einfach so im Liegen. Das war ihm egal, es schaute ja niemand dabei zu, um zu spotten. Demütigend würde es erst werden, wenn man ihn hier rauszog, aber mit etwas Glück war er dann besinnungslos und erlebte das gar nicht mit.
Den Gestank nahm er eher als etwas Erfreuliches denn als etwas Unerfreuliches auf, denn so lange noch etwas zu riechen war, so lange war auch etwas zu atmen da. Gegen die Schmerzen gewöhnte er sich seitliche Bewegungen mit den Schultern und dem Gesäß an, sodass er, so gut es eben ging, die Breite der Schublade ausnutzte und darin hin- und herrutschte, um nicht wundzuliegen und zu verkümmern. Die Feuchtigkeit war ein großesProblem, aber gegen das allgegenwärtige Jucken konnte er wenigstens jeden betroffenen Körperteil am rauen Stein kratzen. Er schaffte es auch, seine Unterschenkel anzuwinkeln und wieder zu strecken und mit seinen Armen ganz erstaunliche Überdehnungsübungen zu machen, musste aber aufpassen, sich nicht zu sehr anzustrengen, weil die Luft bereits so vielfach durchgeatmet war und ihm bei der kleinsten Verausgabung das Bewusstsein entglitt.
Was für ein schmales, vergängliches Ding doch so ein Bewusstsein war. Ein Fädchen, eine Feder in einem Wirbelsturm.
Immer wieder ging er in Gedanken die Historie des Sechsten Baronats durch. Er übte auch Schreiben auf dem Stein.
Am meisten zu schaffen machten ihm die Farben. Die Hinterseiten seiner Augenlider wollten einfach keine Ruhe geben, strapazierten und überforderten ihn mit bunten Explosionen, marschierenden Punkt-Armeen, wandernden grün-rot-blauen Karomustern, vorbeiziehendem Funkenregen und allerlei anderem abstrakten Zeug, das nicht wirklich da war, aber auch nicht wegging.
Einmal wollte Minten Liago anfangen zu singen, um denen da draußen in der anderen Welt zu demonstrieren, dass es ihnen nicht gelingen würde, ihn zu zerbrechen, aber er hielt inne, weil er fürchtete, sie würden es als Beweis dafür nehmen, dass er den Verstand verloren hatte.
Schließlich zog man ihn aus der Schublade heraus. Es war ihm gar nicht wie zehn Tage vorgekommen. Erkonnte sich höchstens an drei oder vier Tage erinnern. Womöglich war er die meiste Zeit ohnmächtig gewesen.
Die Kerkersoldaten wussten bereits, in welchem Zustand die Gefangenen aus der Schublade kamen, und hatten unterhalb der Schublade einen Bottich mit Wasser platziert, in den Minten übergangslos hineinstürzte. Zwei Soldaten hielten ihn aufrecht, damit er nicht ertrank. Ein dritter schrubbte ihn mit angewidertem Gesicht.
Als Minten mit dem Wasser kämpfend panisch die Augen aufriss, sah er hinter dem Schrubbenden eine Frau stehen. Da er sich in der Schublade so intensiv mit der Geschichte des Sechsten Baronats auseinandergesetzt hatte, dachte er im ersten Moment, bei der Frau handele es sich um die Baroness Meridienn den Dauren höchstpersönlich. Aber das konnte nicht stimmen. Die Baroness war schön und vornehm. Diese Frau hier jedoch trug eine Soldatenuniform, hatte ein hartes, beinahe männliches Gesicht, muskulösere Oberarme als die meisten Männer und Haare, die so kurz waren, dass ihr Schädel wie eine dunkel schattierte Glatze aussah. Darüber hinaus schien sie nur noch eine Hand zu besitzen, ihre Linke war ein ledrig-metallisches Gebilde voller Klingen, Haken und Ösen.
Angesichts des Gestanks verzog sie kein bisschen das Gesicht, sondern schnupperte, als gälte es, einen edlen Wein zu begutachten. Dabei betrachtete sie den nackten Minten aufmerksam mit einer Mischung aus Zufriedenheit und Spott von oben bis unten.
»Könnte was sein«, sagte sie dann. Ihre Stimme knarrte, als würde man Holz biegen. »Bringt ihn in Form. Ichwill ihn in sieben Tagen gegen Oloc sehen, im Übungshof des Inneren Schlosses. Sorgt dafür, dass er dorthin verbracht wird. Und macht ihm klar, dass er nur diese einzige Chance bekommt.« Mit einer ungeduldigen Bewegung
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