Die Daemonen 01 - Die Daemonen
kennt, wo andere nur Spott empfinden. Und nun, im Gramwald der aggressiven Farben, sah er den jungen König verändert, zermahlen, zerrissen von Kräften, die zu beherrschen er nie eine Möglichkeit hatte. Er sah sich selbst hilflos, sah all sein Beraten zu sinnlosem Lallen verschleifen, sah die Krone in den Sand eines Strandes rollen, und er weinte und konnte sich gar nicht beruhigen. Der König begleitete ihn zurück, aus dem Wald hinaus, wo die Eskorte wartete. Der König war nun väterlich, und sein alter Berater schluchzte und wimmerte wie ein kleines Kind.
Dann kehrte Gäus alleine zurück in die Mitte des Waldes und breitete seine Arme aus.
Hier also steckte sie.
Die Lebenskraft.
Die überall im restlichen Land nur noch so spärlich vorhanden war, dass man tagelang ernten und mähen und pressen und sammeln und sieben und mahlen und lesen und keltern und auffangen konnte, ohne auch nur die halbe Tagesration eines freien Dämons zusammenzubekommen – aber hier, im Gramwald des Achten Baronats, hatte sich die Lebenskraft noch gehalten. Hier troff sie wie Speichel von den Bäumen, strotzte in jeder Blume, platzte aus jedem Moos und summte in jeder Flechte. Solange er diesen Ort regelmäßig aufsuchte,würde Gäus niemals Hunger leiden müssen. Er musste lediglich dafür Sorge tragen, dass Irathindur nicht hierhergelangte, um ihm den Vorrat streitig zu machen, aber das sollte sich bewerkstelligen lassen, denn Irathindur schlug gerade einen vollkommen anderen, irrsinnig anmutenden Kurs ein: Er errichtete eine Mauer rings um sich und spaltete sich vom Rest des Landes ab.
Gäus hatte genug erfahren. Die Menschen konnten mit dieser Lebenskraft nicht umgehen. Sie verstanden sie nicht, und deshalb erzeugte die Lebenskraft in ihnen Albträume und Furcht. Für einen Dämon wie ihn aber war dieser Wald eine reichlich gefüllte Tafel mit längst in Vergessenheit geraten geglaubten Köstlichkeiten. Satt und guter Dinge ritt er mit seinen Vertrauten zurück zum Hauptschloss des Achten Barons.
Hier erwarteten sie erstaunliche und beunruhigende Neuigkeiten: In Orison-Stadt wurde zur Stunde gekämpft! Und es waren nicht, wie Tanot Ninrogin zuerst vermutete, Truppen aus dem abtrünnigen Irathindurien, die über die Hauptstadt herfielen, nein – es war der Baron Helingerd den Kaatens aus dem Vierten Baronat samt seinem mit Kristallpanzern ausgestatteten Eliteheer.
Unverzüglich und Tag und Nacht durchreitend preschten der König und seine Eskorte zurück zur Stadt, zum belagerten Thron. Im Handstreich durchbrachen sie von außen den Belagerungsring und betraten schweißdampfend und von sengenden Fackeln noch qualmend Orison-Stadt. Sie fanden die Stadt zernarbt, schartig und rußend, aber noch immer intakt und mitungebrochenem Geist. Zwei große Vorstöße des Vierten Heeres waren bereits abgewehrt worden. Besonders verdient gemacht hatte sich dabei ein Mann, der eigentlich gar nicht zum Heeresstab der Stadt Orison gehörte: Faur Benesand, der Einnahmenkoordinator der ehemaligen Baroness den Dauren. Er erreichte Orison-Stadt, als die Belagerung begann, brach ebenso durch wie der König nun, nur im Alleingang, warnte, mobilisierte und kämpfte in vorderster Front, mit einem Lachen auf dem Gesicht, manchmal auch mit einem Weinen des aufrechten Kummers angesichts eines solchen Bruderkrieges, wie die Männer sagten; kämpfte und stritt, als gälte sein eigenes Leben überhaupt nichts, oder mehr noch: als gälte es, dieses Leben fortzuwerfen und in möglichst hohem Blutzoll zu versenken.
In Wahrheit hatte sich das alles ein klein wenig unrühmlicher zugetragen. Faur Benesand war, als er zur Hauptstadt hatte durchreiten wollen, von hinten in die belagernden und eigentlich eine Verhandlung beabsichtigenden Truppen des Vierten Barons hineingeprallt, hatte sie damit überhaupt erst aufgeschreckt und dadurch, dass er weiter zur Stadt durchritt und die Armee des Vierten Barons ihn irrtümlich für einen der ihren hielt, den ersten Angriff Richtung Stadt eigenhändig ausgelöst. Dann, in der Stadt angekommen, hatte er sich, halb wahnsinnig vor Übernächtigtheit, Kummer, Selbstkasteiungsschmerz, unbefriedigter Brunst und Perspektivlosigkeit angesichts des aufgrund einer unsinnigen Reise abwesenden Königs von einer hohen Stadtzinne hinab mitten zwischen die anstürmenden Feinde geworfen – die seinen Sturz abfingen, um nicht selbstverletzt zu werden – und hatte dadurch einen »Hurra!« brüllenden Ausfall der Belagerten ausgelöst.
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