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Die Dämonen ruhen nicht

Die Dämonen ruhen nicht

Titel: Die Dämonen ruhen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Es sind ein Kinderarzt, ein Herzchirurg und eine praktische Ärztin, die sich vor ein paar Jahren in Lufkin niedergelassen hat. Sie ist die Älteste unter den Henkern, erscheint mit ihrer schwarzen Tasche, erledigt ihre Arbeit und geht, gleichmütig und arrogant, ohne ein Wort mit jemandem zu wechseln.
    Es erregt Jean-Baptiste, sich eine Ärztin vorzustellen, die, unsichtbar in einem Geheimzimmer, auf das Zeichen wartet, seinen angeschnallten Körper zu töten. Er fürchtet sich nicht vor dem Tod seines Körpers, denn sein Verstand und seine Seele sind unzerstörbar. Er ist elektrisch. Er ist ein Fluidum. Er kann seinen Verstand vom Körper lösen. Er ist ein Teil Gottes. Jean-Baptiste liegt rücklings auf dem Bett und stößt einen Seufzer aus; er starrt an die Decke, die seine hellseherischen Reisen nicht aufhalten kann. Meistens versetzt er seinen Geist zurück nach Paris, wohin er unbemerkt fliegt und wo er Geräusche so scharf wahrnimmt wie nie zuvor. Erst vorgestern hat er Paris besucht, kurz nach einem leichten Regen; die Autoreifen zischten auf der nassen Straße, und der Verkehr in der Ferne klang erstaunlich dumpf, sodass es ihn an sein eigenes Magenknurren erinnerte. Die Regentropfen ähnelten Diamanten, verstreut über die Sitze geparkter Motorräder. Als eine Frau mit Lilien im Arm an ihm vorbeiging, schwebte er in einer Duftwolke.
    Wie aufmerksam er geworden ist! Wenn seine Seele in Paris, der schönsten Stadt der Welt, weilt, entdeckt er jedes Mal ein anderes altes Gebäude, eingehüllt in grüne Netze, während Männer den Sandstein mit Kompressoren bearbeiten, um jahrhundertealte Verschmutzungen zu beseitigen. Es hat Jahre gedauert, Notre Dame den cremeweißen Teint wiederzugeben. Jean-Baptiste berechnet die Zeit, indem er diese Arbeiten im Auge behält. Nie bleibt er länger als ein paar Tage in Paris, und jeden Abend macht er sich auf den Weg zum Gare de Lyon und dann zum Quai de la Rapee, um das Institut Medico-Legal zu betrachten, wo einige seiner früheren Auserwählten obduziert worden sind. Er kann die Gesichter und Körper der Frauen sehen und erinnert sich an ihre Namen. Er wartet, bis das letzte Bateau-Mouche vorbeituckert und das letzte Kielwasser über seine Schuhe schwappt, bevor er sich auf den kalten Steinen des Quai de Bourbon nackt auszieht.
    Sein ganzes Leben lang hat er sich den trüben, kalten Fluten der Seine hingegeben, um den Fluch des Loup-Garou abzuwaschen.
    Des Werwolfes.
    Die nächtlichen Bäder haben ihn nicht von der Hypertrichiose geheilt, dem ausgesprochen seltenen Geburtsfehler, der dazu führt, dass Babyflaum den gesamten Körper bedeckt. Weitere grausame Folgen sind ein entstelltes Gesicht, verformte Zähne und verkümmerte Genitalien. Jean-Baptiste taucht in den Fluss ein. Er treibt am Quai d’Orleans und am Quai de Bethune vorbei zur östlichen Spitze der Ile St.-Louis. Dort, am Quai d’Anjou, steht das vierstöckige Stadthaus aus dem siebzehnten Jahrhundert mit seinen geschnitzten Eingangstüren und den vergoldeten Regenrinnen, das hotel particulier, wo seine prominenten Eltern in anstößigem Pomp und Prunk wohnen. Wenn das Kristall und Silber der Kerzenleuchter im Licht lodern, sind seine Eltern zu Hause. Allerdings haben sie häufig Freunde zu Besuch oder genehmigen sich einen Schlummertrunk in einem Wohnzimmer, das von der Straße aus nicht einzusehen ist.
    Auf seinen körperlosen Reisen kann Jean-Baptiste jedes Zimmer des hotel particulier betreten. Er geht herum, wie es ihm gefällt. Als er letztens nachts die Ile St.-Louis besuchte, hatte seine übergewichtige Mutter einige neue Fettwülste unter dem Kinn. Ihre Augen wirkten in dem aufgedunsenen Gesicht so winzig wie Rosinen. Sie hatte sich in einen schwarzen Morgenmantel aus Seide gehüllt und trug dazu passende Pantoffeln an den dicken Füßen. Jammernd und auf ihren Mann einredend, rauchte sie eine starke französische Zigarette nach der anderen, während er die Nachrichten sah, telefonierte oder Papiere durcharbeitete.
    So wie Jean-Baptiste ohne Ohren hören kann, ist sein Vater in der Lage, auf Wunsch zu ertauben. Kein Wunder, dass er in den Armen vieler schöner junger Frauen Freude und Erholung sucht und nur mit Madame Chandonne verheiratet bleibt, weil sich das eben so gehört. In seiner Jugend sagte man Jean-Baptiste, Hypertrichiose sei genetisch bedingt, doch er ist sicher, dass der Alkoholismus seiner Mutter schuld daran ist. Während ihrer Schwangerschaft hat sie keinerlei Anstalten gemacht,

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