Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Dämonen

Titel: Die Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
Vom Netzwerk:
meinen Augen die Visagen zweier oder dreier jener Büfettfreunde vorüber, die sich gegen Morgen bei der Feuersbrunst eingefunden hatten, und die ich sofort wiedererkannte. Aber besonders erinnere ich mich an einen hageren, ausgemergelten, hochgewachsenen Burschen mit krausem, kohlschwarzem Haar, einen Kleinbürger, von Beruf Schlosser, wie ich später erfuhr. Er war nicht betrunken, war aber im Gegensatz zu der finster dastehenden Menge wie außer sich. Er wandte sich fortwährend an das Volk, obwohl ich mich an seine Worte nicht erinnere. Alles, was er Zusammenhängendes sagte, war nicht länger als folgendes: »Brüder, was stellt das vor? Soll das wirklich so weitergehen?« und dabei fuchtelte er mit den Armen umher.
     

Drittes Kapitel.
     
    Der beendete Roman.
     
I.
    Von dem großen Saale in Skworeschniki aus (eben jenem Saale, in welchem die letzte Begegnung Warwara Petrownas mit Stepan Trofimowitsch stattgefunden hatte) war die Feuersbrunst so klar zu sehen, als ob sie ganz nahe wäre. Bei Tagesanbruch, zwischen fünf und sechs Uhr morgens, stand Lisa an dem letzten Fenster rechts und blickte starr nach dem erlöschenden Feuerscheine hin. Sie war allein im Zimmer. Sie trug ihr gestriges Festkleid, in dem sie bei der Vorlesung erschienen war, ein hellgrünes, kostbares, ganz mit Spitzen besetztes Kleid, das aber schon zerknittert und eilig und nachlässig angezogen war. Als sie auf einmal bemerkte, daß es über der Brust nicht vollständig zugeknöpft war, errötete sie, brachte es eilig in Ordnung, nahm von einem Stuhl das rote Tuch, das sie schon tags zuvor bei ihrer Ankunft dort hingeworfen hatte, und band es sich um den Hals. Ihr üppiges Haar fiel in welk gewordenen Locken unter dem Tuche hervor auf die rechte Schulter. Ihr Gesicht war müde und sorgenvoll; aber die Augen brannten unter den finster zusammengezogenen Brauen. Sie ging wieder zum Fenster hin und drückte die heiße Stirn gegen die kalte Scheibe. Die Tür öffnete sich, und Nikolai Wsewolodowitsch trat herein.
    »Ich habe einen besonderen reitenden Boten hingeschickt,« sagte er; »in zehn Minuten werden wir alles erfahren; vorläufig sagen die Leute, ein Teil des jenseitigen Stadtteiles sei abgebrannt, nach dem Ufer zu, rechts von der Brücke. Es hat schon zwischen elf und zwölf angefangen zu brennen; jetzt erlischt das Feuer.«
    Er ging nicht zum Fenster hin, sondern blieb drei Schritte hinter ihr stehen; sie wendete sich nicht zu ihm um.
    »Nach dem Kalender müßte es schon seit einer Stunde hell sein, und dabei ist es noch fast Nacht,« sagte sie mißmutig.
    »Alle Kalender lügen,« bemerkte er mit einem freundlichen Lächeln; aber beschämt beeilte er sich hinzuzufügen: »Nach dem Kalender zu leben ist langweilig, Lisa.«
    Er verstummte nun völlig; er ärgerte sich über die neue Trivialität, die er gesagt hatte. Lisa verzog die Lippen zu einem schiefen Lächeln.
    »Sie sind in einer so trüben Stimmung, daß Sie nicht einmal die richtigen Worte für ein Gespräch mit mir finden können. Aber beruhigen Sie sich; Sie haben ganz zutreffend gesagt, daß ich immer nach dem Kalender lebe. Jeder meiner Schritte ist nach dem Kalender berechnet. Sie wundern sich darüber?«
    Sie wandte sich schnell vom Fenster weg und setzte sich auf einen Lehnstuhl.
    »Bitte, setzen Sie sich ebenfalls! Wir werden nicht lange zusammen sein, und ich will alles sagen, was mir beliebt ... Warum sollten nicht auch Sie alles sagen, was Ihnen beliebt?«
    Nikolai Wsewolodowitsch setzte sich neben sie und ergriff sachte, beinah furchtsam ihre Hand.
    »Was bedeutet diese Sprache, Lisa? Woher rührt sie auf einmal? Was bedeutet das: ›Wir werden nicht lange zusammen sein‹? Das ist schon der zweite rätselhafte Ausdruck in der halben Stunde, seit du aufgewacht bist.«
    »Sie fangen an, meine rätselhaften Ausdrücke zu zählen?« erwiderte sie lachend. »Aber erinnern Sie sich, daß ich gestern, als ich hereinkam, mich Ihnen als eine Tote vorstellte? Das haben Sie wohl für nötig gefunden zu vergessen? Zu vergessen oder nicht zu beachten.«
    »Ich erinnere mich nicht daran, Lisa. Warum als eine Tote? Du mußt leben ...«
    »Und nun verstummen Sie? Ihre Redegewandtheit ist Ihnen ja ganz abhanden gekommen. Ich habe meine Stunde auf der Welt abgelebt, und nun ist's genug. Erinnern Sie sich wohl an Christofor Iwanowitsch?«
    »Nein, ich erinnere mich nicht,« antwortete er mit finsterer Miene.
    »Christofor Iwanowitsch in Lausanne? Er hat Sie furchtbar

Weitere Kostenlose Bücher