Die Dämonenfängerin. Aller Anfang ist Hölle
Die Sonne war beinahe untergegangen.
»Perfekt«, sagte er. »Jetzt zündest du jede zweite Kerze an, und zwar
im
Uhrzeigersinn, während ich die Anrufungen rezitiere. Sobald du einmal rum bist, zündest du die restlichen Kerzen in der umgekehrten Reihenfolge an. Mach keine Pause dazwischen. Und was immer du tust, sag kein Wort, ehe ich mit der Anrufung fertig bin.«
Riley bekam es mit der Angst zu tun und versuchte, sich alle Anweisungen zu merken.
Simon schenkte ihr ein beruhigendes Lächeln. »Keine Angst, du wirst schon alles richtig machen.«
»Was wirst du sagen?«
»Das Vaterunser.«
Sie holte tief Luft und begann, jede zweite Kerze anzuzünden. Ihre Hand hörte nicht auf zu zittern, und wegen der Bisswunde des Dämons verkrampften sich die Finger. Die Dochte brannten mit einer plötzlichen hellen Flamme auf, um anschließend ein klares weißes Licht auszustrahlen. Simons kräftige Stimme erfüllte die Abendluft, während er langsam das Vaterunser sprach:
»Pater noster, qui es in caelis,
Vater unser, der Du bist im Himmel.
Sanctificetur nomen tuum …
Geheiligt werde Dein Name …«
Nicht einmal beim Latein geriet er ins Stottern. Es hörte sich an, als sei er damit groß geworden. Nachdem sie alle Kerzen angezündet hatte, blieb Riley still stehen, aus Angst, irgendeine Dummheit zu begehen und alles zu ruinieren.
Simon reckte die Arme zum Himmel. »Bei der Gnade Gottes, Seines einzigen Sohnes und Seiner heiligen Engel, beschütze das Innere dieses geweihten Kreises vor allem Übel. Amen.«
»Amen«, flüsterte sie, nur um sofort das Gesicht zu verziehen. Sie sollte doch nicht reden! Hatte sie jetzt alles vermasselt?
Zu ihrer Erleichterung sprang ein blendender Lichtfunke von Kerze zu Kerze, bis der ganze Kreis leuchtete. Die Flammen schossen wie bei Fackeln hoch hinaus, bildeten feurige Ranken über ihren Köpfen und schufen eine leuchtende Kugel um sie. Riley empfand eine seltsame Enge, und sie bekam Ohrensausen. Die Kugel leuchtete ein paar Sekunden lang, dann fielen die Flammen in sich zusammen, bis sie wieder auf einer Ebene mit dem Boden waren und sich in matte ewige Lichter verwandelten.
»Wow! Das ist ja reinste Zauberei«, rief sie.
Simon schüttelte den Kopf. »Es ist Gottes Liebe. Sie ist stärker als jede Zauberei. So lange es auf diese Weise aufblitzt, weißt du, dass der Kreis wirksam ist. Wenn nicht, musst du die Anrufung wiederholen.«
»Wie komme ich aus dem Kreis heraus, ohne ihn zu zerstören?«
»Gute Frage«, erwiderte Simon. »Du trittst an die Kerzen heran, leerst deinen Geist und stellst dir vor, du würdest den Ring durchschreiten, ohne ihn zu zerstören.«
Häh?
»Aber was, wenn ich eine Kerze umstoße?«, sagte sie.
»Das wäre schlecht. Hier, ich zeig es dir.«
Simon erhob sich, trat an den Kreisrand, murmelte leise ein paar Worte und stieg über die Kerzen.
»Okay. Und wie kommst du wieder hinein?«
»Du musst mir erlauben, den Kreis zu betreten.« Ehe sie fragen konnte, wie sie das anstellte, deutete er auf die Broschüre. »Seite fünf, letzter Absatz.«
Riley fand die Textstelle und las: »Wenn du nichts Böses im Sinn hast, so tritt ein.«
Simon machte einen Schritt über die Kerzen und kehrte zu seinem Platz auf dem Schlafsack zurück.
»Und wenn du ein böser Junge wärst …«
»Dann würde der Kreis mich nicht hineinlassen.«
»Woher weiß er, wer gut und wer böse ist?«
Er zuckte die Achseln. »Es ist so ähnlich wie bei dem Schutzkreis aus Weihwasser. Böse Dinge halten sich davon fern.«
Klingt reichlich merkwürdig. Aber wenn Simon und Beck an diesen Kreiszauber glauben, dann muss da wohl was dran sein.
»Was ist, wenn ich den Kreis aus Versehen zerstöre?«
»Dann fängst du wieder von vorn an, gleich, nachdem du die Kerzen wieder aufgestellt hast. Ach ja, und du musst die Kerzen jede Nacht von dem ursprünglichen Weihwasserkreis abrücken. Die meisten Leute machen ihn ein bisschen kleiner.«
So viele Dinge, die es zu bedenken gab. »Was ist, wenn es regnet?«, wollte sie wissen.
»Regen kann dem Kreis nichts anhaben, Wind übrigens auch nicht, obwohl du ihn natürlich spürst. Das Wichtigste ist, dass der Kreis intakt bleibt und dass du seinen Zweck deutlich machst.« Er saß auf seinem Schlafsack, ließ seine Fingerknöchel einen nach dem anderen knacken, ganz offensichtlich zufrieden mit sich. »Jetzt warten wir, bis die Sonne aufgeht.«
»Das ist wesentlich mehr Arbeit, als ich mir vorgestellt hatte«, sagte sie und
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