Die Daemonenseherin
einen großen Verbandskasten, sondern eine ganze Batterie an Desinfektions- und Schmerzmitteln, Salben und Tabletten, Spritzen, verschiedene Scheren, eine Schachtel mit einer Nadel, wie Ärzte sie zum Nähen von Wunden verwendeten, und die dazugehörigen Fäden.
Auf den ersten Blick war die schiere Menge der Mittel und Werkzeuge ein erschreckend deutlicher Hinweis darauf, dass Logans Arbeit alles andere als ein harmloser Schreibtischjob war. Dann entdeckte sie ein kleines Lederetui, in dem ein Skalpell steckte, und hätte beinahe triumphierend aufgeschrien. Ein Skalpell sollte in keinem guten Haushalt fehlen , schossen ihr Parkers Worte durch den Kopf, als sie es auf den Waschtisch legte.
»Das hätte ich schon viel früher tun sollen!« Warum hatte sie Parker und Kent nicht gleich darum gebeten, ihr das Vieh mitsamt dem Chip herauszuschneiden? Womöglich lag es daran, dass sie gar nicht auf den Gedanken gekommen war, die Lösung könnte so einfach sein. Das war wohl auch der Grund, warum sie es nicht einmal versucht hatte. Vielleicht hatte ihr auch der Mut gefehlt. Aber warum sollte es nicht einfach sein? Was mit dem Chip funktioniert hatte, würde auch bei ihm klappen. Es musste einfach!
Mit einem Gummi, den sie in einer der Schubladen gefunden hatte, band sie sich das Haar hoch, ehe sie das nötige Verbandszeug heraussuchte und es neben dem Waschbecken in Reichweite legte. Mit dem Desinfektionsspray reinigte sie das Skalpell. Den Rest sprühte sie großflächig auf ihre Schulter, wo es sich kühl über ihre Haut legte und ihr eine Gänsehaut verursachte.
Alles war bereit.
Sie stand vor dem Waschbecken, die Hände rechts und links auf den Rand gestützt, und sah ihrem bleichen Abbild in die Augen, das ihr aus dem Spiegel entgegenstarrte.
Bei dem Gedanken daran, was sie vorhatte, vollkommen ohne Betäubung und ohne Schmerzmittel, wurde ihr schlecht.
Doch es gab kein Zurück mehr. Wenn sie es jetzt nicht tat, würde alles nur noch schlimmer werden.
Entschlossen griff Alessa nach dem Skalpell. Ihre Finger zitterten, als sie sich um das kühle Metall legten und es vom Waschtisch nahmen. Einen Moment hielt sie es in der Hand und wartete, bis sie sich ein wenig beruhigte.
Dann setzte sie an.
Sie musste den Arm weit strecken, um die Stelle oberhalb des Schulterblattes zu erreichen, und es würde alles andere als saubere Arbeit werden, doch ein paar Narben kümmerten sie nicht, solange es funktionierte.
Als das Messer in ihre Haut schnitt, verzog sie das Gesicht. Dabei war es nur ein oberflächlicher Ritzer, noch lange nicht tief genug, um das Samenkorn zu erreichen. Sie presste die Zähne aufeinander, bis ihre Kiefer schmerzten, und schnitt tiefer. Es fühlte sich nicht an wie eine Klinge. Vielmehr glaubte sie die Klauen des Dämons zu spüren, die sich in ihr Fleisch gruben und sich weigerten, sie freizugeben, solange Er nicht bereit war, ihren Körper zu verlassen.
Als die Spitze des Skalpells auf Widerstand stieß, vergrößerte sie den Schnitt in der Länge und zog die Ränder mit einem Glitschen auseinander. Ihre Beine zitterten und die Übelkeit wurde so stark, dass sie glaubte, sich jeden Moment übergeben zu müssen – wenn sie nicht vorher umkippte. Heftig schluckend kämpfte sie gegen den Brechreiz an und lehnte sich gegen das Waschbecken.
Es kostete sie alle Überwindung, in die Wunde zu greifen und nach dem Samenkorn zu tasten, doch sosehr sie sich auch bemühte, es zu fassen zu bekommen, es entglitt ihr jedes Mal – als entzöge es sich bewusst ihrem Griff – und verkroch sich tiefer in ihren Körper.
Ihre Beine verwandelten sich endgültig in Pudding. Alessa fiel auf die Knie. Das Skalpell rutschte ihr aus der Hand und fiel klappernd zu Boden. Noch immer tasteten ihre Finger in der Wunde herum. Wenn sie sie jetzt zurückzog, würde sie nicht mehr den Mut und auch nicht die Kraft finden, den Schnitt noch einmal zu berühren.
Tränen verschleierten ihre Sicht, als sie weiter nach dem Samenkorn tastete.
Jedes Mal wieder entglitt es ihr.
Sie hob das Skalpell auf und stach es sich in die Schulter, in der Hoffnung, den Dämon zumindest zu zerstören, wenn sie ihn schon nicht entfernen konnte. Wieder und wieder stieß sie zu, bis sie den Kampf gegen den Schmerz verlor. Der Boden raste ihr entgegen. Dann war da nichts mehr.
*
Alessa war schon viel zu lange fort.
Die Dusche lief noch immer, doch abgesehen vom gleichförmigen Rauschen des Wassers war nicht der geringste Laut zu hören. Kein
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