Die Daemonenseherin
aufgetaucht?«
»Nicht direkt«, sagte er ausweichend.
Nicht direkt? Da war etwas gewesen. Im Badezimmer, als sie besinnungslos auf dem Boden gelegen hatte. Alessa glaubte sich an eine Berührung zu erinnern, doch sie hätte nicht sagen können, ob es Logans Hand oder die Klaue des Dämons gewesen war. An eines jedoch erinnerte sie sich: die Präsenz des Dämons. Sie war so deutlich spürbar gewesen, dass sie das Gefühl gehabt hatte, das Biest berühren zu können, wenn sie nur die Hand nach ihm ausgestreckt hätte.
Sie lauschte in sich hinein, spürte der Kreatur nach und suchte nach Spuren ihrer Anwesenheit. Sie war da, Alessa konnte sie hinter der Mauer spüren, doch sie verhielt sich vollkommen ruhig. Als hätten sie die Schmerzmittel ausgeknockt.
»Hast du den Schatten unter meiner Haut gesehen?«
Logan nickte.
»Wie groß war er?«
Er hielt seine Faust in die Höhe. »Ungefähr so groß.«
Alessa schloss die Augen. Es mochte ihr nicht gelungen sein, ihn zu entfernen, aber er war definitiv kleiner geworden. Wäre er noch weiter geschrumpft, wenn sie ein paarmal mehr auf ihn eingestochen hätte?
Der Einsatz des Skalpells hatte ihr Zeit verschafft. Alessa bezweifelte jedoch, dass es lange dauern würde, bis der Dämon seine ursprüngliche Größe wieder erreichte. Sie befürchtete, dass es genügen würde, ein-, wenn sie Glück hatte, vielleicht zweimal auf ihre Kräfte zurückzugreifen. Etwas, wozu sie während der letzten Tage immer wieder gezwungen gewesen war.
Konnte sie überhaupt noch wagen, in der Nähe eines anderen Menschen zu schlafen? Was, wenn der Dämon wieder angriff?
Sie schlug die Decke zurück und setzte sich auf. Sofort wurde ihr schwindlig. Sie krallte die Finger in das Bettlaken und wartete darauf, dass das Schlafzimmer aufhörte, sich um sie herum zu drehen. Als ihr Kreislauf in Schwung kam, wurde auch das Pochen in ihrer Schulter schlimmer. Es hämmerte so sehr, dass sie die Zähne aufeinanderpressen musste, um nicht laut aufzustöhnen.
»Wo willst du hin?« Logan klang alarmiert.
Noch bevor ihre Füße den Boden berührten, war Logan aufgesprungen, hatte das Bett umrundet und kam vor ihr zum Halten. Vorsichtig legte er ihr die Hände auf die Arme und hinderte sie daran, aufzustehen. Seine Berührung fühlte sich an wie unzählige kleine Stromschläge, die über ihre Haut wanderten und Bilder in ihrem Gehirn erzeugten. Sie sah das Entsetzen in seinen Augen, als er sie im Bad gefunden hatte, spürte die Sorge, die ihn um ein Haar gelähmt hatte, und wünschte sich, dieses Erlebnis nicht mit ihm teilen zu müssen. Zu sehen, wie viel Angst sie ihm eingejagt hatte, tat beinahe körperlich weh. Wie würde er erst reagieren, wenn der Tag kam, an dem der Dämon sie umbrachte? Was, wenn er dann bei ihr war und die Kreatur ihn ebenfalls tötete?
Alessa entwand sich seinem Griff. In dem Moment, in dem Logans Hände nicht länger ihre Haut berührten, verblasste das Echo seiner Gefühle. Vergessen konnte sie sie deshalb noch lange nicht.
Was sie gesehen und gespürt hatte, bestärkte sie nur in ihrem Entschluss: Wenn sie ihn schützen wollte, musste sie gehen.
Hastig überprüfte sie ihre Schutzwälle: Die Mauer, hinter der der Dämon zusammen mit ihren Fähigkeiten gefangen war, stand und der Dämon rührte sich nicht. Sie hätte überhaupt nicht imstande sein dürfen, eine Vision zu haben, ohne die Schutzschilde zu senken und ihre Kräfte anzuzapfen. Trotzdem geschah es bei Logan immer wieder.
»Alessa!« Nur undeutlich drang Logans Stimme zu ihr durch. »Du bist weiß wie eine Wand. Leg dich sofort wieder hin, bevor du mir umkippst!«
Als er nach ihr griff, um ihr zu helfen, streifte sie seine Hand ab und stand auf.
»Sei vernünftig!«
Genau das wollte sie sein. Vernünftig. Nicht egoistisch. Wäre sie Letzteres, würde sie sich in seine Arme flüchten und zulassen, dass ihre Befürchtungen grausame Realität wurden. Sie ging zu dem Sessel, auf dem ihre Klamotten lagen, und fühlte sich dabei wie eine Hundertjährige, die von einem Bus überfahren worden war. Als sie nach ihrem Pullover griff, legte Logan seine Hand auf ihre.
»Alessa, was soll das?«
»Ich muss gehen.«
»Du machst Witze.« Er musterte sie aus zusammengekniffenen Augen, dann schüttelte er den Kopf. »Nein, danach siehst du nicht aus. Aber glaubst du allen Ernstes, dass ich dich in diesem Zustand auch nur allein bis zum Wohnzimmer gehen lasse?«
»Logan, ich muss –« Sie versuchte seine Hand abzustreifen
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