Die Daemonenseherin
erhobener Waffe auf den Durchgang zum Schlafzimmer zu. Alessas Beine zuckten. Alles in ihr schrie danach, aufzuspringen und davonzulaufen. Aber der Maskierte war viel zu nah. Sobald sie die Schranktür öffnete, würde er es hören.
Sie lauschte auf seine schnellen Schritte, die sich im Schlafzimmer hin und her bewegten, immer wieder von einem Quietschen unterbrochen. Er sah in die Schränke! Wenn er das auch hier tat und sie fand, würde er sie ebenso erschießen wie den Professor.
Nein!
So leicht wollte sie es ihm nicht machen. Sie würde sich gegen ihn zur Wehr setzen. So wie sich der Professor gewehrt hat? Unwillkürlich schüttelte sie den Kopf. Der Professor war überrascht gewesen. Sie jedoch wusste, dass der Fremde hier war – und dass er eine Waffe hatte.
Die Schritte kamen näher.
Alessa spähte zwischen den Lamellen durch und zuckte zusammen, als sein Schatten auf die Schwelle fiel. Er kam ins Wohnzimmer zurück, ging zum Fenster und sah kurz nach draußen, ehe er sich wieder dem Raum zuwandte.
Sein Blick richtete sich auf den Schrank.
Alessa wich zurück, bis sie an die Rückwand stieß. Mit angehaltenem Atem starrte sie auf die Lamellen, die ihr nun die Sicht auf den Maskierten versperrten. Ihr Puls begann zu rasen und das Blut rauschte ihr so laut in den Ohren, dass es ihr schwerfiel, noch etwas anderes zu hören. Sie ballte ihre Hände zu Fäusten und zwang sich zu atmen. Die Panik wollte sich nicht verdrängen lassen.
Die Dielen ächzten unter seinen Schritten, als der Maskierte sich bewegte.
Sie hielt es nicht länger aus, nicht zu sehen, wo er war und was er tat. Vorsichtig, um nur ja kein Geräusch zu verursachen, rutschte sie wieder nach vorne und spähte hinaus.
Er stand nicht weit vom Schrank entfernt, den Blick noch immer auf die Lamellentür gerichtet. Die Hand mit der Pistole hatte er gesenkt. Lauf und Schalldämpfer warfen einen langen Schatten auf das Parkett, der ihm folgte, als er einen weiteren Schritt auf den Schrank zumachte.
Wenn er die Tür aufriss, musste sie sich wehren – bevor er schießen konnte.
Aber was, wenn er einfach die Waffe hob und durch die geschlossene Tür ballerte? Sollte sie weiter stillhalten in der Hoffnung, dass er das nicht tun würde? Sie versuchte sich einzureden, dass er sie vielleicht noch gar nicht bemerkt hatte.
Ein Blick auf ihren Parka genügte, um diese Hoffnung zu zerschlagen.
Sie musste ihre Kräfte einsetzen. Daran, was passieren würde, wenn sie die Kontrolle verlor, wagte sie nicht zu denken. Es durfte einfach nicht passieren. Ihre Kräfte mussten ausreichen, um den Maskierten abzuwehren und die Mauer aufrechtzuhalten, die Alessas Geist abschirmte. Diese Mauer war ihr Schutzschild. Ihr verdankte sie es, dass sie überhaupt noch am Leben war.
Als der Fremde die Hand nach der Schranktür ausstreckte, bemerkte sie zum ersten Mal seine Handschuhe. War er ein Mitglied der Gemeinschaft oder trug er sie nur, um keine Fingerabdrücke zu hinterlassen? Wenn er der Gemeinschaft angehörte, musste sie stärkere Geschütze auffahren, um sich gegen ihn zu wehren. Das würde ihre Schutzschilde nur noch mehr gefährden.
Seine Finger schlossen sich um den Türgriff. Alessa hielt den Atem an und machte sich bereit. Durch die offene Wohnungstür waren gedämpfte Schritte zu hören. Jemand war im Treppenhaus. Der Maskierte hielt inne, sah zum Flur, dann wieder zum Schrank. Er war so nah, dass Alessa das Weiße in seinen Augen schimmern sah, doch obwohl sie ihn anstarrte, hätte sie nicht sagen können, welche Farbe seine Augen hatten.
Die Schritte im Treppenhaus kamen näher. Holz knarrte. Ganz in der Nähe. Der Maskierte nahm die Hand vom Türgriff und machte kehrt. Mit ein paar großen Sätzen war er beim Fenster und schob es hoch. Ein letzter Blick in Richtung der Tür, dann schwang er die Beine über den Fenstersims und kletterte nach draußen. Metall klapperte, erst ziemlich laut, dann immer leiser.
Alessa stieß den Atem aus und lehnte die Stirn gegen die Lamellen. Ihre aufkommende Erleichterung wurde jedoch im Keim erstickt, als die Schritte aus dem Hausflur die Wohnung erreichten und verstummten. Wer auch immer dort draußen war, mochte vielleicht nicht bewaffnet sein, doch das machte die Situation nicht besser. In einer Wohnung gefunden zu werden, in der eine Leiche lag, würde sich nicht sonderlich gut machen. Die Polizei würde Fragen stellen und ihre Daten checken. Wenn jemand dahinterkam, wer sie war …
Ich muss hier raus, bevor mich
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