Die Daemonenseherin
offen stehende Schranktür. Und um das.« Er hob ihren Parka in die Höhe.
»Was wollen Sie wissen?«
Er deutete in die Wohnung. »Darf ich?«
Widerwillig zog Alessa die Tür auf und ließ ihn herein. Wenn er gewollt hätte, hätte er sich auch mit Gewalt Zutritt verschaffen oder sie verhaften lassen können, trotzdem gefiel es ihr nicht, einen Fremden in ihrem Unterschlupf zu haben. Schon gar nicht, wenn dieser Fremde von der Polizei war und in einem Mordfall ermittelte.
Detective Drake blieb im Flur stehen und wartete, bis sie die Tür geschlossen hatte. Aus der Nähe betrachtet war er noch größer, als sie ihn in Erinnerung hatte. Statt der Tarnklamotten, die ausgesehen hatten, als käme er gerade vom Schlachtfeld, trug er heute Bluejeans, einen beigefarbenen Rollkragenpullover und eine dunkelbraune Lederjacke, was bedeutend besser zu einem Zivilpolizisten passte.
»Der gehört Ihnen.«
Ein wenig erstaunt betrachtete sie den Parka, den er ihr entgegenhielt. Einfach so. War das kein Beweismittel? Sie nahm ihn rasch an sich, dabei streiften ihre Finger die seinen. Kalte Wut, Abscheu und Misstrauen schwappten in einer Welle über sie hinweg, bohrten sich in ihr Herz und ließen es gefrieren. Gott, war dieser Mann zornig! Hastig zog sie die Hand zurück und warf den Parka auf eine der Kisten.
Alessa war versucht in ihre Handschuhe zu schlüpfen, doch sie wollte ihn nicht wissen lassen, dass sie ein Mitglied der Gemeinschaft war – sofern er das nicht bereits ebenfalls herausgefunden hatte. Für den Augenblick musste es genügen, Abstand zu halten. Solange sie nicht noch einmal mit seiner Haut in Kontakt kam, konnte nichts passieren.
Die Emotionen, die durch diese flüchtige Berührung auf sie übergegangen waren, erschreckten und erstaunten sie. Es war schon immer ihre Gabe gewesen, Gefühle zu spüren, doch für gewöhnlich musste sie dafür ihre Fähigkeiten bewusst einsetzen. In all der Zeit, in der sie sich darauf konzentriert hatte, ihre Schutzschilde aufrecht und den Dämon unter Kontrolle zu halten, war etwas Derartiges noch nie geschehen. Wie stark mussten diese negativen Gefühle in ihm sein, dass sie sie selbst unbewusst wahrnehmen konnte?
Je schneller er wieder weg ist, umso besser.
Sie führte ihn ins Zimmer, fegte Decke, Kissen und Laken von der Couch und bot ihm einen Platz an, doch er blieb neben der Tür stehen.
Fürchtete er, sie könne ihm davonlaufen?
»Möchten Sie eine Tasse Tee?«
Er schüttelte den Kopf. »Machen Sie sich meinetwegen keine Umstände.« Seine freundlichen Worte konnten nicht von seinem finsteren Blick ablenken. Er war durchaus attraktiv, zugleich strahlten seine dunklen Augen eine Kälte aus, die Alessa frösteln ließ. Selten hatte sie derart harte Gesichtszüge gesehen.
»Sie sind nicht leicht zu finden.« Sein Blick wanderte über die Couch und den winzigen Schrank, weiter zu den schmalen Fenstern, durch die zähes Tageslicht hereinsickerte, streifte dann die Kochzeile und kehrte schließlich zu Alessa zurück. »Wenn es mir nicht gelungen wäre, Mr Farnsworth zu überzeugen, wie wichtig es ist, dass ich mit Ihnen sprechen kann, hätte ich mir vermutlich die Zähne an diesem alten Mann ausgebissen.«
»Er macht sich eben Sorgen um mich.« Alessa zwang sich zu einem Lächeln. Ihr Handy war auf Mr Farnsworth angemeldet. Sie hatte immer gehofft, dies würde genügen, um ihre Spuren zu verwischen. Dass das ein Irrtum war, bewies die Anwesenheit des Detectives. Keine Handys mehr. Womöglich musste sie sogar die Wohnung aufgeben.
»Sie waren dort, nicht wahr?« Der Blick des Detectives hing an ihr, schien sie festzunageln, als wolle er die Wahrheit durch bloße Willenskraft aus ihr herauspressen. Es war ohnehin sinnlos, ihm etwas vorzumachen. Er hatte ihren Parka gefunden. Gab es Fingerabdrücke von ihr? Hatte sie etwas im Schrank angefasst? Selbst wenn nicht, sie lebten im Zeitalter der Faserspuren und DNA-Analysen. Dass sie im Schrank gewesen war, ließ sich sicherlich feststellen – lediglich an der Schlafzimmertür würde er nichts finden, das auf sie hindeutete. Wenn sie nicht ganz oben auf der Liste seiner Hauptverdächtigen landen wollte – sofern sie dort nicht sowieso längst stand –, sollte sie besser kooperieren und seine Fragen beantworten.
»Miss Flynn?«, hakte er nach, als sie nach einer Weile noch nicht geantwortet hatte.
»Ja«, sagte sie leise. »Ich war dort.«
»Und Sie haben etwas gesehen.«
Wieder nickte sie. »Ich war gerade erst
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