Die Daemonenseherin
Im Augenblick ist sein Zustand stabil, aber die Ärzte sagen, dass er noch nicht über den Berg ist. Die Kugel hat sein Herz nur knapp verfehlt.«
»Wie ist es euch überhaupt gelungen, den Kerl in die Flucht zu schlagen?«
»Nachdem er seine Waffe verloren hatte, ist er abgehauen.«
Wieder strich er über das Pflaster an ihrer Stirn. »Hat er dir das angetan?«
Alessa nickte und schloss müde die Augen. Eine Weile saßen sie still da, so nah beieinander, dass er ihren Herzschlag zu spüren glaubte. In diesem Augenblick fragte er sich, wie er auch nur einen Moment lang daran gedacht haben konnte, sie an die Gemeinschaft auszuliefern. Er würde mit ihr über den Dämon sprechen müssen – und darüber, dass er kurz davor war, auszubrechen – und dann würden sie gemeinsam einen Weg finden, diese Kreatur loszuwerden und Alessa vor der Gemeinschaft zu schützen.
»Ich habe nicht gewagt, mich an die Polizei zu wenden, aus Angst, die Gemeinschaft könnte davon erfahren«, sagte sie nach einer Weile. »Hast du vielleicht jemanden, der auf Parker aufpassen kann, solange er hier ist?«
Logan glaubte zwar nicht, dass der Maskierte kommen würde, um den Kerl umzulegen – zumindest nicht, solange er nicht ebenfalls auf der Liste der Dämonenseher stand, trotzdem nickte er. »Ich werde dafür sorgen, dass jemand hier ist und ein Auge auf deinen Freund hat.«
»Danke, Logan.«
Ob du mir immer noch danken würdest, wenn du wüsstest, dass ich dein Geheimnis kenne?
Er zog den Blackberry aus der Tasche und wählte die Nummer des Hauptquartiers. Als sich Buckingham meldete, erklärte er ihm, dass er sich auf den Weg in die Royal Infirmary machen sollte, um jemanden zu bewachen.
»Alles klar, Boss«, bestätigte Buckingham. »Bin schon unterwegs. Es gibt übrigens gute Nachrichten. Fletch und die anderen haben wieder einen von unserer Liste erwischt. Sie liefern den Kameraden gerade ab. Roberts ist ebenfalls schon informiert.«
»Gut.« Logan legte auf und verstaute das Handy in seiner Jacke. »Für Schutz ist gesorgt«, sagte er zu Alessa. »Aber vielleicht verrätst du mir jetzt auch, wer die beiden Kerle überhaupt sind.« Und was sie in deiner Wohnung zu suchen hatten.
Alessa schwieg so lange, dass er schon dachte, sie würde überhaupt nicht antworten, bis sie schließlich leise sagte: »Die beiden sind Seher, allerdings sind sie vor einigen Jahren ausgestiegen. Ich bin ihnen zufällig über den Weg gelaufen – sie haben mir sozusagen aus der Klemme geholfen.«
Logan hätte gerne gewusst, was für eine Art von Klemme das gewesen sein sollte, doch Alessa erweckte nicht den Eindruck, als wolle sie mehr dazu sagen. Früher oder später würde er es auch so herausfinden.
»Die beiden haben mir angeboten, eine Weile zu ihnen zu ziehen«, fuhr sie fort. »So lange, bis der Maskierte keine Gefahr mehr darstellt. Wir wollten meine Sachen aus der Wohnung holen, als er kam.«
Ein Teil von ihm war erleichtert zu hören, dass sie nicht länger allein in ihrer Wohnung bleiben wollte, gleichzeitig versetzte es ihm einen Stich, dass sie nicht ihn um Schutz gebeten hatte.
Von seinen eigenen Gedanken überrascht sah er auf. Wie konnte er darauf eifersüchtig sein, dass sie bei Fremden Hilfe suchte, wenn er bis vor Kurzem daran gedacht hatte, sie höchstpersönlich an die Gemeinschaft zu überstellen!
Ehe er etwas erwidern konnte, öffnete sich die Schleuse zur Intensivstation. Heraus kam ein Kerl, der so riesig war, dass ihm der Kittel nur bis zu den Oberschenkeln reichte, was diesen wie ein übergroßes Sabberlätzchen wirken ließ. Nur ein Arm ragte aus dem Kittel, der zweite war unter dem Stoff verborgen. Noch während er mit der behandschuhten Hand die Schutzmaske vom Gesicht zog, sah er sich um. Als er Alessa entdeckte, hellten sich seine müden Züge ein wenig auf.
Logan glaubte eine Schlinge zu sehen, die den Arm unter dem Kittel in Position hielt. Das war also der andere, der eine Kugel abbekommen hatte. Wie ein Seher sah er tatsächlich nicht aus. Die meisten, die bisher seinen Weg gekreuzt hatten, waren am ehesten mit beherrschten Geschäftsleuten zu vergleichen. Dieser hier wirkte eher wie ein Bodyguard, der den Anzug gegen verwaschene Jeans und die Slipper gegen Turnschuhe getauscht hatte.
Kurz bevor er die Couch erreichte, stand Alessa auf und ging ihm die letzten Schritte entgegen. Sie griff nach seiner unversehrten rechten Hand und drückte sie. »Wie geht es ihm?«
»Unverändert.« Müdigkeit und Sorge
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