Die Daemonenseherin
stolperten aus ihrem Mund. Und wenn ich es wüsste, würde ich es dir nicht verraten!
»Miss Hensleigh«, sagte die Ärztin überfreundlich, »wir können dies auf die einfache oder auf die komplizierte Art erledigen. Warum helfen Sie uns nicht und verraten mir, wo Alessa Flynn ist? Wollen Sie wirklich, dass jemand in ihrem Gehirn herumstochert und nach den Informationen sucht, die Sie mir vorzuenthalten versuchen?«
»Sie können ruhig stochern und meinetwegen auch schütteln und umrühren, Sie werden dort nichts finden, denn ich kenne die Antwort auf Ihre Frage nicht.«
Alles, was sie in ihrem Gehirn finden würden, wären ihre Fluchtgedanken. Und das durfte nicht passieren.
»Hören Sie, Doktor, ich weiß nicht, wo Alessa ist. Ich weiß weder, wo sie wohnt, noch, wo sie arbeitet, ob sie Freunde hat oder was sie sonst so treibt. Wir haben unsere Sicherheitsvorkehrungen getroffen.«
Doktor Burke lehnte sich in ihrem schwarzen Ledersessel zurück und faltete die Hände über dem flachen Bauch. Lange Zeit sagte sie kein Wort, unterzog Susannah nur einer stillen Musterung, die so intensiv war, dass sie sich fragte, ob die Ärztin überhaupt einer Berührung bedurfte, um in ihren Kopf einzudringen.
Je länger Doktor Burke nichts weiter tat, als sie anzusehen, desto nervöser wurde Susannah. Sie war dankbar um die Fesseln, die sie so eng in den Stuhl pressten und dadurch verhinderten, dass sie unruhig hin und her rutschen konnte. Nur mühsam gelang es ihr, eine gleichgültige Miene zur Schau zu stellen, während sich in ihrem Innersten die Gedanken überschlugen.
Einmal hatte sie mit Alessa über die Kräfte gesprochen, die sie seit Beginn des Experiments dazugewonnen hatten. Während es bei Alessa die Telekinese zu sein schien, die deutlich an Ausprägung zugenommen hatte, war es bei Susannah das Talent, Temperaturen zu beeinflussen. Abgesehen davon, dass sie wegen des Dämons ohnehin nicht auf ihre Kräfte zugreifen durfte, hatte sie sich immer gefragt, was sie mit einer derart nutzlosen Fähigkeit anfangen sollte. Temperaturen zu beeinflussen war ungefähr so spannend wie eine Zahnsteinentfernung.
Im Augenblick jedoch hätte sie kaum eine passendere Gabe besitzen können.
Auf dem Gang gab es eine Nische, in der Sauerstoffflaschen gelagert wurden. Wenn es ihr gelang, so weit auf die Temperatur Einfluss zu nehmen, dass diese explodierten, sollte das genügend Panik und Verwirrung stiften, um ihre Flucht zu decken. Alles, was sie dann noch zu tun brauchte, war, sich aus diesen unseligen Fesseln zu befreien. Zumindest dafür sollte ihr telekinetisches Talent ausreichen.
»Gefällt Ihnen der Tank?«, durchbrach Doktor Burke plötzlich die Stille.
Susannah blinzelte irritiert. »Was soll das für eine Frage sein?«
Ein Lächeln zeigte sich auf den verhärmten Zügen der Ärztin und ließ sie nur noch älter und matter wirken. »Ich möchte wissen, ob Sie gerne dort sind oder ob es Ihnen lieber wäre, nicht noch einmal dorthin zurückzumüssen.«
»Ich verstehe die Frage noch immer nicht.« Susannah hatte keine Lust, Spielchen zu spielen. Wenn Burke etwas von ihr wollte, sollte sie es gefälligst aussprechen.
Doch Doktor Burke ließ sich Zeit. Wieder verrannen endlose Augenblicke, während deren sie nichts anderes tat, als Susannahs Züge zu studieren, ehe sie endlich sagte: »Ich möchte Ihnen ein Angebot machen, Miss Hensleigh.«
Susannah runzelte die Stirn, erwiderte aber nichts.
»Sie wissen etwas, das mich interessiert«, fuhr die Ärztin bedächtig fort. »Ich möchte Ihnen einen Tauschhandel anbieten. Sie verraten mir, wo ich Alessa Flynn finde, und ich sorge dafür, dass Sie den Dämon loswerden und nie wieder in diesen Tank zurückmüssen. Ich denke, das ist mehr als ein faires Angebot.«
Den Dämon loswerden.
Wieder und wieder hörte Susannah die Worte in ihrem Kopf, wobei es ihr zunächst schwerfiel, deren Bedeutung zu erfassen. Ob es an den Medikamenten lag, die man ihr eingeflößt hatte, oder nur daran, dass es ihr nach all den Jahren wie ein Wunder erschien, dies könnte überhaupt möglich sein, wusste sie nicht. Tatsache war, dass es sich um die wunderbarsten und verlockendsten Worte handelte, die sie je gehört hatte.
Nie wieder zurück in den Tank. Ein normales Leben, bei dem sie nicht länger zu fürchten brauchte, der Dämon könne die Mauern durchbrechen, hinter denen sie ihn gefangen hielt. Allein bei dem Gedanken stiegen ihr Tränen der Sehnsucht in die Augen. Sie würde all ihre
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