Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See
zusammen. Es kam zu einem Handgemenge, dann zur Schlägerei, die augenblicks den ganzen Basar erfasste. Die Schlägerei wurde zum Gemetzel, zu einem massenhaften Angriff der Menschen auf den von Nichtmenschen eingenommenen Teil der Vorstadt und auf das Viertel Ulm. Im Laufe einer knappen Stunde, von dem Zwischenfall auf dem Basar bis zum Eingreifen der Magier, wurden einhundertvierundachtzig Personen getötet, und rund die Hälfte der Opfer waren Frauen und Kinder.
Dieselbe Version der Ereignisse gibt in seiner Arbeit auch Professor Emmerich Gottschalk aus Oxenfurt.
Es gab aber auch andere Stimmen. Wo ist da die Spontaneität, wo der unvermittelte und unvorhersehbare Ausbruch, fragten sie, wenn wenige Minuten nach den Vorgängen auf dem Basar in den Straßen Wagen auftauchten, von denen herab man Waffen an die Menschen austeilte? Wo ist da der plötzliche und gerechte Zorn, wenn die Rädelsführer des Mobs, diejenigen, die sich während des Massakers am meisten hervortaten, Menschen waren, die niemand kannte und die ein paar Tage vor den Ereignissen, wer weiß, woher, nach Riva gekommen waren? Und diedanach wer weiß, wohin, verschwanden? Warum griff die Armee so spät ein? Und von Anfang an so lasch?
Wieder andere Wissenschaftler wollten in den Vorgängen von Riva eine Nilfgaarder Provokation sehen, doch es gab auch welche, die behaupteten, das alles sei ein Komplott, das die Zwerge im Verein mit den Elfen geschmiedet hätten. Sie hätten sich selbst umgebracht, um die Menschen in ein schlechtes Licht zu rücken.
Völlig unter ging inmitten der gewichtigen Stimmen der Wissenschaft die gar zu kühne Theorie eines gewissen jungen und exzentrischen Magisters, der – bis man ihn zum Schweigen brachte – behauptete, in Riva hätten keine Verschwörungen oder geheimen Komplotte ihren Ausdruck gefunden, sondern die gewöhnlichen und weit verbreiteten Wesenszüge der dort ansässigen Menschen: Unbildung, Fremdenhass, brutale Rohheit und grundhafte Vertiertheit.
Und dann wurden alle der Sache überdrüssig, und man sprach überhaupt nicht mehr davon.
»In den Keller!«, wiederholte der Hexer, der beunruhigt auf das rasch näher kommende Gebrüll der Menge lauschte. »Zwerge in den Keller! Ohne dumme Heldenposen.«
»Hexer«, stöhnte Zoltan und umklammerte den Axtstiel. »Ich kann nicht … Dort sterben meine Brüder …«
»In den Keller. Denke an Eudora Brekekeks. Willst du, dass sie vor der Hochzeit zur Witwe wird?«
Das Argument wirkte. Die Zwerge stiegen in den Keller hinab. Geralt und Rittersporn bedeckten den Eingang mit Streu. Wirsing, für gewöhnlich blass, war jetzt weiß. Wie Käse.
»Ich habe einen Pogrom in Maribor gesehen«, presste er hervor und schaute auf den Eingang zum Keller. »Wenn sie sie dort finden …«
»Geh in die Küche.«
Rittersporn war ebenfalls bleich. Nicht, dass sich Geralt darübergewundert hätte. Aus dem vor kurzem noch gestaltlosen und gleichförmigen Gebrüll, das zu ihnen herandrang, traten nun einzelne Noten hervor. Solcherart, dass einem die Haare zu Berge standen.
»Geralt«, ächzte der Dichter. »Ich sehe einem Elf ein bisschen ähnlich …«
»Sei nicht dumm.«
Über den Dächern stiegen Rauchschwaden auf. Und aus einer Gasse kamen Flüchtlinge gerannt. Zwerge. Beiderlei Geschlechts.
Zwei sprangen ohne zu zögern in den See und begannen zu schwimmen, wobei sie heftig das Wasser aufwirbelten; sie schwammen geradeaus, zur Mitte hin. Der Rest lief auseinander. Ein Teil bog zur Schenke ab.
Aus der Gasse brach die Menge hervor. Sie war schneller als die Zwerge. Bei diesem Wettlauf siegte die Mordlust.
Die Schreie der Ermordeten gellten in den Ohren, ließen die kleinen bunten Fensterscheiben der Schenke klirren. Geralt spürte, wie ihm die Hände zu zittern begannen.
Einer der Zwerge wurde buchstäblich zerfetzt, in Stücke gerissen. Ein anderer, der mit dem Gesicht zum Boden dalag, wurde in ein paar Augenblicken zu einer formlosen blutigen Masse gemacht. Eine Frau wurde mit Mistgabeln aufgespießt, das Kind, das sie bis zuletzt verteidigt hatte, einfach totgetrampelt, mit Tritten der Absätze zerstampft.
Drei – ein Zwerg und zwei Frauen – flohen geradewegs auf die Schenke zu. Die brüllende Menge setzte ihnen nach.
Geralt holte tief Luft. Stand auf. Unter den entsetzten Blicken Rittersporns und Wirsings nahm er von dem Bord überm Kamin den Sihill, das Schwert, das in Mahakam geschmiedet worden war, in der Schmiede von keinem Geringeren als
Weitere Kostenlose Bücher