Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See
Samtbändern gehaltenen Frisur gesteckt, die in den kleinsten Nuancen durchgearbeitet war, einschließlich einer makellos geometrischen halbmondförmigen Stirnlocke. Das Oberteil des dekolletierten Kleides schillerte in Tausenden von blauen und lilafarbenen Streifen auf schwarzem Grund, das Unterteil war schwarz, dicht mit einem Muster aus kleinen goldenen Chrysanthemen besät. Um Hals und Dekolletélag – wie eine Rüstung oder ein Käfig – in kunstreichen Arabesken ein Halsband aus Lack, Obsidian, Smaragden und Lapislazuli; es endete in einem Jadekreuz, das fast zwischen die kleinen, von einem engen Leibchen gestützten Brüste ragte. Der gerade Ausschnitt war breit und tief, die freiliegenden schmächtigen Schultern der Frau schienen keinen sicheren Halt zu gewähren – Geralt erwartete, dass das Kleid jeden Augenblick von der Büste rutschen werde. Doch es rutschte nicht, gehalten von den geheimen Künsten des Schneiderhandwerks und von den Puffärmeln.
Die zweite Frau war der ersten an Wuchs gleich. Ihre Lippen waren im selben Farbton geschminkt. Und damit endete die Ähnlichkeit. Die zweite trug auf den kurz geschnittenen schwarzen Haaren ein Netzkäppchen, das vorn in einen bis zur Spitze des Näschens reichenden Schleier überging. Das Blumenmotiv des Schleiers verbarg nicht die schönen, funkelnden, mit grünem Schatten stark untermalten Augen. Ein ebensolcher Blumenschleier verhüllte das zurückhaltende Dekolleté des schwarzen, langärmeligen Kleides, das an etlichen, nur scheinbar zufällig verteilten Stellen mit feinen Streumustern von Saphiren, Aquamarinen, Bergkristallen und durchbrochenen Goldsternen bedeckt war.
»Ihre Allerhöchste Durchlaucht Fürstin Anna Henrietta«, sagte jemand hinter Geralts Rücken halblaut. »Kniet nieder, Herr.«
Welche von den beiden es wohl ist, dachte Geralt, während er mit Mühe das schmerzende Knie beugte. Beide, der Schlag soll mich treffen, sehen gleichermaßen fürstlich aus. Ach was, königlich.
»Steht auf, Herr Geralt«, zerstreute seine Zweifel diejenige mit der kunstvollen kastanienbraunen Frisur und der spitzen Nase. »Wir heißen Euch und Eure Freunde im Fürstentum Toussaint willkommen, im Palast Beauclair. Wir freuen uns über die Gelegenheit, Gäste zu empfangen, die in solch edler Mission unterwegssind. Und die zudem auf freundschaftlichem Fuße mit dem Vicomte Julian stehen, dem wir von Herzen zugetan sind.«
Rittersporn verneigte sich tief und schwungvoll.
»Der Vicomte«, fuhr die Fürstin fort, »hat uns Eure Namen offenbart, hat Wesen und Ziel eurer Expedition verraten, hat erzählt, was euch nach Toussaint führt. Dieser Bericht hat unser Herz gerührt. Wir würden gern bei einer Privataudienz mit Euch sprechen, Herr Geralt. Diese Angelegenheit muss jedoch ein wenig warten, da staatliche Verpflichtungen auf uns lasten. Die Weinlese ist beendet, die Tradition erfordert unsere Anwesenheit beim Büttenfest.«
Die andere Frau, die im Schleier, beugte sich zur Fürstin und flüsterte rasch etwas.
Anna Henrietta warf dem Hexer einen Blick zu, lächelte, leckte sich die Lippen. »Es ist unser Wille«, sagte sie laut, »dass uns an der Seite des Vicomte Julian beim Büttenfest Herr Geralt von Riva zu Diensten ist.«
Durch die Gruppe der Höflinge und Ritter ging ein Raunen, etwas wie das Rauschen von Kiefern, wenn der Wind auf sie trifft. Fürstin Anarietta bedachte den Hexer mit dem nächsten schmachtenden Blick und ging zusammen mit ihrer Begleiterin und einem Schwarm Pagen aus dem Saal.
»Blitz und Donner«, flüsterte der Ritter vom Schach. »Na sowas aber auch! Eine selten große Ehre ist Euch da zuteil geworden, Herr Hexer.«
»Ich habe nicht recht verstanden, worum es geht«, gestand Geralt. »Auf welche Weise soll ich Ihrer Hoheit zu Diensten sein?«
»Ihrer Gnaden«, berichtigte ihn ein hinzutretender beleibter Standesherr vom Aussehen eines Zuckerbäckers. »Verzeiht, Herr, dass ich Euch korrigiere, aber unter den gegebenen Umständen muss ich das tun. Wir hier in Toussaint halten große Stücke auf Tradition und Protokoll. Ich bin Sebastian Le Goff, Kämmerer und Hofmarschall.«
»Angenehm.«
»Der offizielle und protokollarische Titel von Frau Anna Henrietta« – der Kämmerer sah nicht nur wie ein Konditor aus, er roch sogar nach Zuckerguss – »lautet ›Allerhöchste Durchlaucht‹. Der inoffizielle ›Ihre Gnaden‹. Der familiäre, außerhalb des Hofes zu verwendende ›Frau Fürstin‹. Ansprechen muss man sie aber
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