Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande (German Edition)
kompletter Satz gelingen.
»Ich liebe dich«, sagte Petra und ging hinaus, um auf der Straße auf das Taxi zu warten.
Dille stand immer noch wie vom Blitz erschlagen im Flur. Bis er eine Stimme aus einem der beiden Kinderzimmer hörte: »Mama! Ich hab Bauchweh!«, rief Jan. »Maaaamaaaa!«
* * *
Der Plan, den Sven und Knut ausgetüftelt hatten, war kein richtiger Plan, sondern bloß das Rudiment einer Idee: Sie hatten einen Tisch im Schmidt’s reserviert – einen Tisch mit fünf Plätzen. Daran wollten die beiden selbst Platz nehmen, meine Wenigkeit natürlich auch sowie Susann und Norbert. Es würde irgendein Liederabend sein – Chansons aus dem Berlin der Zwanzigerjahre. Der Mann, der dort singen würde, bevorzugte es, nicht als Mann betrachtet zu werden, nannte sich deshalb Chantal und trug mit Vorliebe Paillettenkleider und eine Federboa. Knut war ein echter Chantal-Fan.
»Wir erzählen Susann natürlich nicht, dass du kommst«, erklärte Sven.
»Sie würde ganz sicher nicht kommen, wenn sie wüsste, dass du da bist«, meinte Knut. »Aber sie wird bestimmt auch nicht gehen, wenn sie dich sieht.«
»Sie möchte dich wieder sehen!«, behauptete Sven. »Man muss sie nur zu ihrem Glück zwingen!«
»Und was soll ich dann machen?«, fragte ich nervös.
»Sei einfach du selbst«, riet Sven.
Knut sah mich skeptisch an: »Ohne das In-die-Fresse-Hauen natürlich.«
Sven grinste.
Mir war die Sache überhaupt nicht geheuer! Natürlich wollte ich wieder Kontakt zu Susann! Scheiße, es gab nichts, was ich lieber wollte! Und ich wollte, dass sie mir verzeiht! Dass ausgerechnet ich die Hochzeit mit diesem Norbert verhindern könnte, war allerdings eine fixe Idee, der bloß Sven und Knut nachhingen. Ich glaubte nicht für eine Sekunde, dass das klappen würde. Ich war mir nicht mal sicher, ob ich es versuchen wollte. Wer war ich denn, dass ich glaubte, mich in die Zukunft anderer Menschen einmischen zu können.
Nein, ich wäre schon überglücklich, wenn ich Susann einfach wieder sehen könnte, wenn sie mit mir reden würde, wenn ich nur einen Hauch von Damals zurückbekäme. Dass wir wieder ein Paar werden könnten – das glaubte ich wirklich nicht. Es schien mir eine absurde Vorstellung. Ich wollte bloß meine Kirschkernspucker zurück. Das war ein Wunsch mit realistischem Unterfutter. Von mehr zu träumen, erlaubte ich mir nicht.
* * *
Petra lehnte sich im Sitz zurück und nahm einen Schluck aus dem Begrüßungs-Sektglas der Fluggesellschaft. Ihre Hände zitterten ein wenig. Sie war nervös. Als sie aus dem Fenster schaute, sah sie weit unten die Lichter der Stadt blinken. Für einen kurzen Moment hatte sie das unbändige Bedürfnis, laut aufzuschreien und die Crew mit Waffengewalt zur Umkehr zu zwingen!
Was hatte sie getan?
War sie wahnsinnig geworden?
Würden Dille und die Kinder diese zehn Tage heil überstehen?
Und vor allem: Würde ihre Ehe diese tollkühne Eskapade überleben?
Petra zwang sich tief durchzuatmen und nahm einen weiteren Schluck Sekt. Doch! Es war die richtige Entscheidung! So hatte es nicht weitergehen können! Dille brauchte einen Warnschuss, einen Weckruf! Und sie selbst hatte sich weiß Gott eine kleine Auszeit verdient.
Als Petra einen weiteren Schluck Sekt nehmen wollte, bemerkte sie, dass das Glas leer war. Sie hielt nach einer Stewardess Ausschau. Dabei traf ihr Blick auf den eines anderen Passagiers. Er saß auf der gegenüberliegenden Seite des Ganges und lächelte sie an.
Petra schluckte und drehte sich zur Seite. Meinte er tatsächlich sie oder jemand anderen? Sie schaute noch einmal zaghaft zu ihm hinüber. Jetzt war sein Lächeln ein freundliches Grinsen geworden. Ja: Diese zwei Reihen strahlend weiße Zähne und die leuchtend blauen Augen galten eindeutig ihr!
Wow , dachte Petra.
* * *
Da war sie! In der Sekunde, in der ich Susann erspähte, spürte ich plötzlich mein Herz im Kopf schlagen. Ehrlich: Es war, als hätte meine Pumpe den Druck verdreifacht, so dass ihr üblicherweise auf den Brustkorb beschränktes Pochen plötzlich zu einem Ganzkörperrumsen anwuchs, das selbst vor meinem Schädel nicht Halt machte.
Üblicherweise heißt es ja, bei Aufregung würde das Herz zu rasen beginnen – doch meines erhöhte nicht das Tempo, sondern die Intensität seines Schlages. Und ich hielt es in diesem Moment für durchaus denkbar, dass es das letzte große Aufbäumen meines Herzens war, bevor es den Geist aufgab. So wie ein Orchester am Ende einer Symphonie
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