Die Depressionsfalle
der Konsumenteninformation nicht oder nicht ausreichend zu berücksichtigen.
Dieses problematische Verhalten der Industrie ist natürlich nicht nur bei der Vermarktung der Psychopharmaka zu beobachten. Aber gerade in diesem Bereich geht es entweder um Täuschung bezüglich der Wirkung oder um sehr ernsthafte und gefährliche unerwünschte Wirkungen, über die die Patienten informiert werden sollten.
Das Problem trat bereits bei der Vermarktung der ersten SSRI auf und hält bis in die jüngste Vergangenheit an. Bekannt wurde es dadurch, dass heftige Kontroversen in der Fachwelt ausgebrochen waren und wichtige Persönlichkeiten in die Auseinandersetzung verwickelt worden waren. Grundsätzlich muss man verstehen, dass in den USA andere Patentregeln gelten als in Europa. Eine neue Substanz wird als patentiertes Arzneimittel zugelassen, wenn in zwei Untersuchungen die Wirksamkeit der Substanz gegenüber einem Scheinmedikament nachgewiesen werden kann. Die Firmen können aber unbegrenzt viele Studien durchführen lassen, solange bis zwei Studien Ergebnisse in ihrem Sinn erbringen. Da sie nicht verpflichtet sind, negative Studien zu veröffentlichen, kann die Methodologie manipuliert werden. Zum Beispiel kann das Studiendesign solange verändert werden, bis endlich die zwei notwendigen positiven Resultate vorgelegt werden können. Die negativen Studien verschwinden dann in den Schubladen, die positiven werden von klingenden Autoren in Top-Journalen veröffentlicht. Auf diese Weise entsteht eine wissenschaftliche Literatur, die nicht mehr ernst zu nehmen ist, die aber nichtsdestoweniger als Grundlage für die medizinische Aus- und Weiterbildung dient, und die die Basis für die akademische Karriere junger Mitarbeiter an den Studien bildet.
Wie wirksam sind die SSRI ? â Die Auswirkung des Unterschlagens negativer Resultate
Nachdem viele andere Berichte das Problem zur Diskussion gestellt hatten, dass die Publikationsphilosophie der Pharmaindustrie ausschlieÃlich positive Resultate klinischer Forschung an die Ãffentlichkeit bringen und negative Berichte systematisch unterschlagenwürde, veröffentlichte 2008 Irving Kirsch von der Universität in Hull die Ergebnisse einer Analyse, die er zusammen mit fünf Kollegen aus den USA und Kanada durchgeführt hatte. Er hatte sich sämtliche Reviews der FDA über alle Placebo-kontrollierten Studien verschafft, die 1987 bis 1999 für die Zulassung der bekanntesten Antidepressiva (Prozac, Paxil, Zoloft, Celexa, Serzone und Effexor) eingereicht worden waren. Damit hatte das Forschungsteam auch einen Ãberblick über jene Studien, die nie veröffentlicht worden waren und deren Veröffentlichung unterdrückt worden war. Als Resultat der Forschung wurde berichtet, dass der Unterschied in der Besserung bei Patienten, die Placebos und Patienten, die Antidepressiva nehmen, nicht sehr groà ist, dass SSRIs nur bei schweren Depressionen wirken und auch bei dieser Anwendung die Ãberlegenheit gegenüber einem Scheinmedikament nicht ausgeprägt ist. Die Autoren meinten, dass möglicherweise alle Substanzen nur über einen âaktivierten Placeboeffektâ wirkten. Die Resultate waren für die untersuchten Substanzen faktisch in gleicher Weise unspektakulär. Dass die Ãrzteschaft und die Ãffentlichkeit daran glauben, dass diese Substanzen hochwirksam sind und substanzspezifische Effekte haben, bezeichneten die Autoren als Effekt der Publikationsstrategie, die Ergebnisse der positiven Studien in vielen Publikationen zu verbreiten, die negativen aber zu unterschlagen.
Diese Untersuchung löste in der Fachwelt heftige Diskussionen aus. Vonseiten der Befürworter der SSRI wurde geltend gemacht, dass sehr unterschiedliche Untersuchungen miteinander verglichen worden seien und insgesamt die Fallzahl in allen überprüften Studien klein gewesen sei. AuÃerdem wurde den Studien damit begegnet, dass sich die Substanzen in der Praxis in zahllosen Fällen bewährt hätten. Der Ratgeber der Stiftung Warentest
Depressionen überwinden
hat sich dieser Auffassung angeschlossen und die Aussagekraft der Kirschâschen Studie in Zweifel gezogen.
Nun ist es sicher richtig, dass die Aussagen von Kirsch und seinen Mitarbeitern sich ausschlieÃlich auf klinische Studien beziehen. Andererseits werden diese Studien durchgeführt, um die Effizienz der Substanzen, die auf den Markt gebracht
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