Die Depressionsfalle
dürfe. 2003 wurde sein Buch
Let Them Eat Prozac
veröffentlicht, in dem er seine Kritik an den Geschehnissen rund um die Vermarktung von Prozac umfassend ausbreitet und weder die Industrie noch die Psychiatrie schont.
Healy betreibt eine Website, auf der der hier kurz nachgezeichnete âKrimiâ in voller Länge nachgelesen werden kann. Sein bisher letztes Buch
Pharmageddon
wurde 2012 veröffentlicht. Es enthält die Summe von Healys Erfahrungen und Reflexionen. Die Fernsehdokumentation des Ersten Deutschen Fernsehens, die unter dem Titel
Gefährliche Glückspillen
am 18. 2. 2013 ausgestrahlt wurde, stellte Healy auch dem deutschen Publikum als Experten für den Zusammenhang zwischen SSRI-Einnahme und Gewalttätigkeit vor.
Das war ein exemplarischer Fall, der viele Aspekte der fragwürdigen Strategien der Pharmaindustrie aufzeigt. In der Folge wollen wir einige dieser Vermarktungsstrategien eingehender beschreiben. Unser Ziel ist dabei weder eine plakative Auflistung noch die Demonstration von Empörung. Unsere Darstellung ist darum bemüht aufzuzeigen, wie diese Praktiken dazu beigetragen haben, die âDepressionsfalleâ zu öffnen, die den wissenschaftlichen Umgang mit der Depression ebenso bedroht wie die professionelle Qualität und Identität der Psychiatrie, die Behandlung erkrankter Menschen, das Verständnis von Krankheit und Gesundheit und damit verbunden auch die Entwicklung der Gesundheitspolitik und des Gesundheitswesens.
Strategien und Tricks â Gefährliche Spiele der Pharmaindustrie 72
Strategie 1: Beeinflussung der Ãrzte und ihres Verschreibungsverhaltens
Am 1. September 2009 erschien in der
New York Times
ein Artikel des Journalisten Gordiner Harris, in dem genau nachgezeichnet wird, welche Werbestrategie für die Vermarktung eines neuen SSRI entwickelt worden ist und inwieweit im Plan, den die Erzeugerfirma Forest 2004 für die Bewerbung und Vermarktung ihres Präparates Lexapro erstellt hat, Zuwendungen an Ãrzte als Mittel der Werbung veranschlagt worden waren. Harrisâ Analyse ergab, dass der Plan eine ausgeklügelte und vielschichtige Strategie, das Verschreibungsverhalten der Ãrzte zu beeinflussen, enthielt. Geplant war demnach:
⢠die Fort- und Weiterbildung unter Kontrolle zu bringen, indem 34, 7 Millionen Dollar an Psychiater und Allgemeinmediziner ausgeworfen werden sollten, dafür, dass diese in einem Jahr 15.000 Vorträge mit dem Ziel der Vermarktung der Substanz an ihre Kollegen halten sollten.
⢠Unter dem Titel âEssen und Lernenâ plante die Firma, 36 Millionen Dollar dafür auszugeben, Ãrzte in ihren Ordinationsräumen zu bewirten. Dadurch, dass sie das Essen zur Verfügungstellten, sollt es den Vertretern der Firma ermöglicht werden, mehr Zeit für das Informationsgespräch zu haben und ein günstiges Gesprächsklima zu schaffen.
⢠Und schlieÃlich wurde ein Plan entworfen, wie im Sinne einer anhaltenden medizinischen Weiterbildung die Ãrzteschaft in Seminaren über Lexapro informiert werden sollte. In diesen Seminaren erwiesen sich die Grenzen zwischen sachlicher Information und Bewerbung der Substanz als deutlich verwischt.
Die Vorgangsweise, die hier an einem journalistisch dokumentierten Beispiel illustriert wird, ist sicherlich kein Einzelfall. Sie kann eher als allgemeingültige Praxis in der Bewerbung neuer Arzneimittel insgesamt â nicht nur der Psychopharmaka â angesehen werden. Industriekritische Autoren meinen, dass die Verordnungspraxis stets mit dem Einfluss der Industrie auf die Ãrzteschaft zusammenhängt, der auf verschiedene Weise ausgeübt wird. In diesen Publikationen wird darauf hingewiesen, dass die Analyse von Zahlungsflüssen drauf hindeutet, dass an Psychiater mehr Industriegelder flieÃen als an alle anderen Ãrzte. Interessant an der vorhin beschriebenen Strategie der Firma Forest ist allemal, dass sie im fraglichen Zeitraum für diese Art der Werbung mehr Geld auszugeben bereit war als viele andere Firmen, die weitaus gröÃer sind. Die Mittel, die von Forest 2008 für Ãrzte bestimmt waren, wurden nur von den Firmen Eli Lilly, Pfizer, Novartis und Merck übertroffen â das heiÃt von Produktionsfirmen, deren Jahresumsatz fünf- bis zehnmal gröÃer ist als der von Forest und die ebenfalls Antidepressiva auf dem Markt haben, oder sich, wie Merck, bemühen, ein neuartiges
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