Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Depressionsfalle

Die Depressionsfalle

Titel: Die Depressionsfalle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien> , Alfred Springer
Vom Netzwerk:
werden sollen, zu beweisen. Es ist auch richtig, dass viele Patienten, die mit SSRIbehandelt werden, mit der Behandlung zufrieden sind, und dass sich ihr Zustand verbessert. Es ist nur schwierig, diese Beobachtungen den Ergebnissen der klinischen Studien entgegenzuhalten. Viele Patienten werden nicht nur mit einem Mittel behandelt oder werden zusätzlich psychologisch oder psychotherapeutisch betreut. Für manche Patienten ergeben sich im Behandlungszeitraum positive Veränderungen ihrer Lebensumstände. Da die Patienten nicht rund um die Uhr beobachtet werden können, weiß der behandelnde Arzt auch nicht, ob die Veränderungen darauf zurückzuführen sind, dass der Patient die verschriebene Substanz einnimmt – oder darauf, dass er sie eigenmächtig abgesetzt hat. Bei dieser Vielfalt von Einflüssen ist die Beurteilung des Therapieerfolges, den die
eine
therapeutische Maßnahme, nämlich die Verordnung eines Arzneimittels gebracht hat, unter naturalistischen Bedingungen äußerst schwierig. Genau deshalb werden ja die klinischen Untersuchungen durchgeführt: um den Effekt der Substanz unter Ausschluss anderer Einflüsse zu bestimmen. Zu Recht wies Marcia Angell in ihrer Rezension der Veröffentlichung der Erkenntnisse von Kirsch darauf hin, dass Anekdoten über Therapieeffekte in der Praxis eine trügerische Beweisführung hinsichtlich der Bewertung einer medizinischen Behandlung sind. Sie können Hypothesen anregen, die dann untersucht werden sollten, aber sie können sie nicht beweisen. Auf jeden Fall sind die Ergebnisse von Kirsch aussagekräftiger als die Schlussfolgerungen und Empfehlungen, die aus der zusammenfassenden Bewertung von Studien resultieren, die in hoch bewerteten medizinischen Journalen erscheinen und, wie vorhin ausgeführt, von Erzeugerfirmen platziert werden und ausschließlich positive Resultate wiedergeben.
    Als Referenzstudie bezüglich der Wirksamkeit der SSRI wird gerne eine Publikation von Jay C. Fournier und seinen Mitarbeitern angeführt, die 2010 im
Journal of the American Medical Association
(JAMA) erschienen ist. Die Autoren grenzen sich von Kirsch ab und kritisieren die Methode, mit der er vorgegangen ist. Die Ergebnisse der Untersuchungen von Fournier und Kirsch können nicht miteinander verglichen werden, da Fournier zwar eine exakte Metastudie durchführte, aber nicht auf unveröffentlichte Studien zurückgriff. Fournier und seine Mitarbeiter revidierten die Ergebnisse klinischerStudien, die zwischen 1980 und 2009 veröffentlicht worden waren und kamen zum Schluss, dass die Wirksamkeit der SSRI mit der Intensität der Symptomatik ansteige. Das heißt, dass sie bei leichten und mittelschweren Depressionen kaum wirksamer sind als Placebo-Präparate, dass sie aber bei schweren Depressionen den Scheinmedikamenten deutlich überlegen sind.
    Die Beobachtungen über die Wirksamkeit der Substanzen haben sich demgemäß im Lauf der Zeit erstaunlich verändert. Während in der Frühzeit der Anwendung behauptet wurde, dass die SSRI bevorzugt bei leichten Depressionen wirken und auf schwere Depressionen keinen Einfluss nehmen, beobachtete man später das genaue Gegenteil. Für diese Entwicklung gibt es keine plausible Erklärung.
    Zu den Einflussbereichen der Pharmaindustrie zählen auch Kongresse und Fortbildungsveranstaltungen sowie die Einflussnahme auf Fachgesellschaften und die von diesen entwickelten State of the Art-Papieren und Richtlinien durch großzügige Förderung.
Strategie 4: „Disease mongering“ – Schaffung neuer Krankheitsbilder
    Unter Disease mongering verstehen wir Bemühungen der pharmazeutischen Industrie, neue Krankheiten zu definieren, bzw. die Bedeutung und den Schweregrad bereits bekannter Zustandsbilder zu dramatisieren, um neue Arzneimittel einzuführen oder um den Umsatz bereits vermarkteter Substanzen zu fördern. Dieses Bestreben steht in Zusammenhang mit den vorhin beschriebenen Erkenntnissen über Wirksamkeit und Unwirksamkeit von Arzneimitteln. Wenn die Wirksamkeit in einem Anwendungsgebiet in Zweifel gezogen wird, die Substanz aber dennoch eine unklare Wirkung entfaltet und sie sich auf dem Markt hält, wird es notwendig, andere Anwendungsmöglichkeiten zu identifizieren: „Die Pille begibt sich auf den Weg, um eine geeignete Krankheit zu suchen“, wie Kritiker dieses Prozesses ironisch bewerten.
    Das Handlungsfeld der

Weitere Kostenlose Bücher