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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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Wanderlust

Kindergarten
     
    Wer vor seinem inneren Auge das Bild kleiner Menschen sieht, die zwiebelgleich aus der Erde sprießen oder stachelbeerhaft an Sträuchern wachsen, sobald er das Wort »Kindergarten« hört, braucht sich nicht zu schämen. Seine Vorstellung ist durchaus im Sinne des Erfinders, lautete diese doch: »Wie in einem Garten unter Gottes Schutz und unter der Sorgfalt erfahrener einsichtiger Gärtner im Einklang mit der Natur die Gewächse gepflegt werden, so sollen hier die edelsten Gewächse, Menschen, Kinder als Keime und Glieder der Menschheit in Übereinstimmung mit sich, mit Gott und Natur erzogen werden.«
    Am 28. Juni 1840 gründete Friedrich Fröbel im thüringischen Blankenburg bei Rudolstadt den ersten Kindergarten der Welt. Gewiss hatte es zuvor auch in Deutschland Orte gegeben, an denen Kinder tagsüber in fremde Obhut gegeben werden konnten. Diese Einrichtungen nannten sich »Kinder-Bewahranstalten« - und viel mehr als Anstalten, die dazu dienten, die Kinder armer Leute vor dem gröbsten materiellen Elend zu bewahren, waren sie tatsächlich nicht.
    Fröbel hingegen verstand sich als leidenschaftlicher »Menschenerzieher«. Der Sohn eines Dorfpfarrers, der ohne Mutter aufwachsen musste, war als junger Hauslehrer ins schweizerische Herten gegangen, um dort den berühmtesten Pädagogen seiner Zeit, Johann Heinrich Pestalozzi, kennenzulernen. Dessen eng an Rousseau angelehntes Konzept, Kinder zwar auch intellektuell zu fordern, aber vielmehr noch zu einem schlichten, frommen, naturnahen und handwerklichen Leben zu erziehen, hatte ihn tief beeindruckt.
    Bereits 1829 entwickelte Fröbel erste eigene Pläne zu einer »Pflege- und Entwicklungsanstalt für drei- bis siebenjährige Kinder«. Anders als Johann Bernhard Basedow, der 1774 in Dessau die erste »Schule der Menschenfreundschaft« - auf gut Griechisch: »Philanthropin« - ins Leben gerufen hatte, hielt Fröbel jedoch nichts davon, kleine Wunderkinder heranzuzüchten. Er wollte keine Vorschule, in der bereits Dreijährige zum Lesen und Schreiben und Sechsjährige dazu animiert wurden, Latein zu parlieren. Ihm ging es um die freie Entwicklung des Kindes, nur so könne »das Göttliche in dem Menschen« gepflegt werden. Von einer philanthropischen Erziehungsanstalt wie derjenigen in Schnepfenthal bei Gotha, die der evangelische Pfarrer Christian Gotthilf Salzmann in der Nachfolge von Basedow gegründet hatte und in der auf einer »Meritentafel« mit kleinen gelben Nägeln den Zöglingen »der Grad ihres Fleißes bemerkbar gemacht« wurde, hielt Fröbel nicht viel.
    Noch ablehnender stand er den pietistischen Waisenhaus- und Schulkasernen gegenüber, deren Modell der Theologe August Hermann Francke bereits im Jahre 1695 in Glaucha bei Halle geschaffen hatte. Zwar bezeichnete auch dieser fromme Christ seine Stiftungen als »Pflanz-Garten« oder »Baumschulen für das ganze Land« - vom paradiesischen Idyll, wie Fröbel es vorschwebte, waren sie allerdings weit entfernt. Denn anders als der Rousseau-Anhänger Fröbel gingen die Pietisten nicht davon aus, dass Kinder unschuldig zur Welt kämen und die Aufgabe des Pädagogen deshalb vorrangig darin läge, zu verhindern, dass sie kulturell verdorben würden. Für sie war der Mensch von Natur aus verderbt, weshalb er zu etwas Besserem »auferzogen« werden müsse.
    »Denn sehet ein kleines Kind an, wie sich von Mutterleibe an die böse Unart in ihm reget, sonderlich aber der eigene Wille und Ungehorsam; und wenn es ein wenig erwachset, bricht hervor die angeborene eigene Liebe, eigene Ehre, eigen Lob, eigene Rache, Lügen und dergleichen.« Dies harsche Zeugnis, das der nachreformatorische Theologe Johann Arndt den Kindlein ausgestellt hatte, machte August Hermann Francke zur Grundlage seiner pädagogischen Maximen. Zum wichtigsten Ziel seiner »Auferziehung« wurde es, »dass der natürliche Eigen Wille gebrochen werde« und das Sündenkind stattdessen lerne, Gottes Willen zu gehorchen. Wichtigstes Mittel war ein rigide strukturierter Alltag aus Arbeit, Unterricht und Gebet. Spiel und Spaß galten als Leimruten des Teufels. Wer dabei ertappt wurde, war zu bestrafen.
    Auch wenn es bei Fröbel beileibe noch nicht so anarchisch-antiautoritär zuging, wie in den Kinderläden der späten 1960er und 70er Jahre: Angesichts solch pietistischen Drills hätte dem empfindsamen Reformpädagogen die Seele geblutet. Gerade das Spiel, das schon Friedrich Schiller als die ideale Daseinsform des Menschen

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