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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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Und so kann man dem Herbergsvater vom Standpunkt der Aufklärung oder zumindest mit ihren Mitteln auch alles Mögliche vorwerfen: Autoritarismus, Schwärmerei und Engstirnigkeit.
    Ins öffentliche Bewusstsein Deutschlands rückt das Pfarrhaus als sozialer Faktor erst im 19. Jahrhundert, als die verspätete Nation sich im Schnelldurchlauf die Gesellschaft unterordnet. Das Kaiserreich griff auf das Pfarrhaus zurück, um sich und uns seine Irrtümer zu erklären. Es wollte dort seine protestantischen Wurzeln gehütet wissen, seinen Hang zur Disziplinierung erklärt haben. Das »Dritte Reich« spaltete den Kirchenbund in, vereinfacht gesagt, bekennende und deutsche Christen und stellte damit auch die Aufgaben des Pfarrhauses in Frage wie alles Institutionalisierte, das nicht seiner Standartenordnung einzuverleiben war.
    Auch die Kritik am Pfarrhaus hat mittlerweile eine eigene Tradition. Wie das meiste, was in Deutschland Erfolg hat, musste auch das Pfarrhaus an den Pranger der Anwälte des wahren Lebens. Noch die Betrachtung der RAF-Terroristin Gudrun Ensslin als Pfarrerstochter verweist darauf. Warum kann man sich nicht auf die nationale Bedeutung einer Sache wie das Pfarrhaus einigen? Warum meint man immer Partei sein zu müssen, selbst wenn es ums Ganze geht, um die Nation? Deutschland hatte kein Paris und damit auch kein sich selbst legitimierendes Zentrum. Luthers Bibel und die Aufbewahrungsorte der Schriften boten dafür Ersatz.
    In der DDR kam das Pfarrhaus als Nische nochmals zu großer Bedeutsamkeit. Es wurde zum Ort der Regimekritik, zum Quartier der Andersdenkenden. Andersdenkende hatten in einem Staat wie der DDR nicht viele Möglichkeiten. Dazu schreibt der oppositionelle Dichter der siebziger Jahre Reiner Kunze unter dem Titel Pfarrhaus: »Wer da bedrängt ist, findet / Mauern, ein Dach und / Muss nicht beten.«
    Um der herrschenden Doktrin aus dem Wege zu gehen, wählten nicht wenige den Pfarrerberuf. Sie umgingen damit die ideologische Mobilisierung. So wurden politisch Engagierte zu Pfarrern und, nach der Wende, Pfarrer zu politisch Engagierten, sogar zu Politikern.
    Deutschlands Aufklärung ist letzten Endes nicht viel mehr als die Politisierung der Lutherbibel und die stetige Ausweitung dieser Politisierung. Wie soll schon die Reform des Sakralen enden, wenn nicht im Profanen? Dieses aber verlangt weder den Denker noch den Dichter, es verlangt den Verwalter.
    Aus den meisten Theologen sind Funktionäre geworden, Netzwerker der Zivilgesellschaft. Das Pfarrhaus aber ist am Ende der Geschichte angekommen. Die, die es bewohnen, die Pfarrer, versichern uns gelegentlich, selbst sie könnten ohne den Ort, ohne das Pfarrhaus auskommen. Dass sie, die meisten, trotzdem darin bleiben, versetzt sie in die Lage des Erben, der mit dem Erbe zwar nicht viel anzufangen weiß, sich aber in der Pflicht sieht.
    Immerhin, denkt man. Liest dann aber die »Empfehlung der evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zu Fragen des Pfarrhauses« vom September 2002, muss man feststellen, dass es auch mit dieser Pflicht nicht weit her ist. Aus dem Papier geht nämlich hervor, dass vor allem jüngere Pfarrer den Dienst an der Gemeinde nicht mehr rund um die Uhr tätigen wollen. Kurzum, sie wollen nicht mehr im Pfarrhaus wohnen. Spätestens an dieser Stelle wird klar, dass der Untergang des Pfarrhauses nicht bloß mit der Schrumpfung der Kirchengemeinde zu tun hat, sondern vielmehr noch mit der Herabstufung der Seelsorge zur Dienstleistung. Um es drastisch zu sagen: Das Angestelltenverhältnis hat über das Pfarr-Ethos gesiegt.
    Und hat er nicht Recht, der dienstleistende Pfarrer? Seine Bibliothek braucht kein Mensch mehr, und auch was er zu sagen hätte, interessiert kaum noch jemanden. Es sei denn, der Pfarrer greift zur Klampfe und singt etwas vom großen Frieden und von der allgemeinen Versöhnung.
    »Schwerter zu Pflugscharen«, wie es in den Friedensgruppen der achtziger Jahre in der DDR hieß, aber an wessen Pflug? Hat diese Kirche nicht längst ihre Sprache, die Sprache der Heiligen Schrift aufgegeben, um den gesellschaftlichen Modediskursen besser folgen zu können?
    Das Pfarrhaus ist von der einst angestrebten Bescheidenheit zur Bedeutungslosigkeit gelangt. Das entbehrt nicht einer gewissen Symbolik. Was ist eine Kirche ohne Pfarrhaus, wäre zu fragen. Und, vor allem, was bedeutet es, wenn die Kirche sich dieser Frage nicht mehr stellt? Es ist ein Verlust anzuzeigen. Dieser Verlust wird deutlich, wenn man die Frage stellt:

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