Die deutsche Seele
uns nur die Pest ins Haus! Ich kenn’ das Elend auf den Straßen, ich weiß, wies täglich grimm und grimmer wird. Die Mittel sind erschöpft, auch ohne dass der Feind uns brandschatzt, plündert. Die Ruhr rafft täglich mehr dahin, die Magazine, noch vor Kurzem wohl gefüllt, sind schaurig leer. Ganz Nürnbergs Mühlen reichen nicht, das Korn zu mahlen, das dieser gier’ge Krieg verschlingt. Zertreten liegen alle Felder, seit uns der Feind in seinem Würgegriff. Erst kam die Kälte, dann der Regen, jetzt Hitze, Dürre, Hundstagsglut. Kadaver wesen an den Ecken, und keiner mag mehr sagen: War’s ein Mensch? War’s Vieh? Ich selbst musst’ Zeuge werden, wie mein Nachbar, der brave alte Kupferschmied, schlich in die Nacht, ein Aas zu holen, das nicht ganz verwest. Zehntausend unsrer Bürger sind verdorben, die Pegnitz schwarz vor Leichenflut. Und noch die toten Arme recken sie, als wollten sie anfleh’n den Himmel um ein Stückchen Brot.
Mein Kind, es ist gut. Sie sind gegangen, fort. Das Haus gehört uns wieder ganz allein. So viel will ich dir zeigen noch.
Mein Kind, wo ist das Pferdlein, das ich in den Stall gestellt?
Mein Kind, du schweigst? Du blickst so blass? Die Augen treten dir hervor? Mein Kind! Mein Kind!
München, 1861
Mein innig geliebter, teurer Freund! Was geht uns dieses »Deutsche Reich« an, das sie jetzt zusammengezimmert haben! Sollen sie ihre Kanonen umarmen, sollen sie den preußischen Götzen Denkmäler errichten, wir wenden uns ab vom Wüten der Welt. O wie unendlich fern liegt jenes Deutschland, das in unser beider Herzen wohnt! Doch das Bewusstsein, einen großen und edlen Zweck vor Augen zu haben, soll uns stählen! Die Schranken der Gewohnheit müssen wir durchbrechen, die Gesetze der gemeinen, egoistischen Welt einstürzen, das Ideal wird und muss in das Leben treten! Ich bin der König! Sie der Meister! Vereint sind wir unbesiegbar! Das Weltenschicksal hat uns beide auserwählt, um das, was für das Leben zu schön ist, im ewigen Spiegel der Kunst auszuführen. Niemand soll es wagen, uns zu verspotten als den »königlichen Musikliebhaber«, der sich einen »beliebten Opernkomponisten« hält. Die Welt wird an dem Beispiele, das wir ihr geben wollen, zu Schanden, der Tag verliert seine Macht, ewig dann währt unser seliges Frohlocken!
Welch Wonneschauer wird mein Inneres erbeben machen, wenn ich in Ihrer Handschrift lesen darf: »Vollendet das ewige Werk!« Dass wir die Aufführung des Gott entsprossenen Nibelungen-Werks erleben werden - wie könnte ich daran zweifeln! Das werden Tage, ähnlich jenen unvergesslichen, an welchen Tristan geboren wurde! Jubelnd denke ich daran zurück. Es waren die schönsten Stunden meines Lebens.
Aber wie furchtbar, wie entsetzlich traurig sieht es in der Welt jetzt aus: Die Geister der Finsternis herrschen. Einen Schattenkönig ohne Macht will Preußen aus mir machen. Doch die Schmach, die sie mir angetan, als sie meine Unterschrift unter den teuflischen Brief erzwangen, der diesen Hohenzollern jetzt zum »Kaiser« macht, kommt sie teuer zu stehen: Die Mittel fließen. Und Sie, mein Einziger, wissen, dass ich kein anderes Ziel kenne, als Ihr Leben zu versüßen, Ihnen all die Sorgen und Leiden zu vergüten, die Sie so zahlreich zu bekämpfen hatten! Immer waren Sie genötigt, mit dem leidigen Theaterwesen zu ringen, doch nun wird alles reinster Vollendung entgegensehen! Vollkommenheit sei jetzt die Losung! Nie wieder sollen Sie erleben müssen, wie eines Ihrer Kinder der Schande ausgesetzt wird!
Ahnen Sie, welchen Dolch Sie mir ins Herz stießen, als Sie mir so lebhaft die Qualen ausmalten, die Sie durchlitten, als Sie Ihr Rheingold, Ihre Walküre in den Pfuhl des gewöhnlichen Theaters geworfen sahen? Und alles nur, weil Sie mir, Ihrem Freund, die Freude einiger Aufführungen bereiten wollten? Bei unsrer heiligen Liebe: Sie werden Ihr Festspielhaus bekommen! Ich will den Nibelungenring von seinem Fluch erlösen! Alles muss erfüllt, der kühnste Traum verwirklicht werden! Dir geboren, Dir erkoren, dies mein Beruf! Mit der Gemeinheit der Welt dürfen Sie nichts mehr zu schaffen haben, hoch über den Mühen der Erde will Ich Sie tragen! Glückselig sollen Sie werden!
Hoffentlich lassen die Pläne für den Bau der Zukunft nicht zu lange auf sich warten. Schon sehe ich die mächtige Fahne Ihrer Schule weithin in die deutschen Gaue wehen, von Nah und Fern strömen sie daher, die Jünger Ihrer Kunst, sich um Ihr Banner zu scharen. Dies
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