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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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diesen Worten eröffnete die Schriftstellerin Ricarda Huch im Oktober 1947 den ersten und letzten gesamtdeutschen Schriftstellerkongress für eine lange Zeit, in der gerade das Nationalgefühl ausgeklammert werden sollte.
    Am Ende der Veranstaltung, die von den Kulturoffizieren der sowjetischen Besatzungsmacht nicht ohne Hintergedanken angeregt worden war, reiste Ricarda Huch, die damals in Jena lebte, ahnungsvoll und in aller Eile in die Westzonen. Die Strapazen der Reise, oder auch Flucht, über die kommende innerdeutsche Grenze hat die 8 3-Jährige nur schlecht vertragen. Sie erkrankte und starb bald darauf in Schönberg im Taunus. Im Westen in spe.
    So begann die Nachkriegszeit ohne die große Chronistin und Interpretin des Alten Reiches, des Dreißigjährigen Kriegs und der deutschen Romantik. Die deutsche Nachkriegskultur musste ohne ihre Stimme und ihren Rat auskommen.
    Das letzte Projekt der Nazi-Kritikerin Huch, die es bereits 1933 abgelehnt hatte, eine Loyalitätsbekundung für deren Regime zu unterzeichnen und anschließend aus der Preußischen Akademie der Künste austrat, sollte eine Porträtreihe der Gegner des Nationalsozialismus sein, eine Würdigung der Unbeugsamen in der Diktatur. Der lautlose Aufstand wurde von Günther Weisenborn fertiggestellt und erwartungsgemäß ideologisch links festgezurrt. Das war nicht in Ricarda Huchs überparteilichem Sinn und wurde auch bald zur Waffe im Kalten Krieg. Darin geriet die Warnung vor dem »Dritten Reich« regelmäßig zur Warnung vor Deutschland.
    Ein Krieg, der nicht geführt wird, kann schlecht die Beweise für Verbrechen des jeweiligen Gegners zutage fördern. Desto mehr muss er das Feindbild beschwören. Erschwerend kam hinzu, dass die nun atomgerüstet, aber kriegsmüde einander gegenüberstehenden Supermächte bis kurz davor noch gemeinsam die Nazis bekämpft und besiegt hatten. Die einen im Namen der Freiheit und des Rechtsstaats, die anderen im Auftrag des Zwangs-Kollektivs.
    In dieser Konstellation fiel den Deutschen die seltsame Aufgabe zu, das schwächelnde Feindbild mit den Zutaten von gestern zu beleben und gleichzeitig in der Rolle des erfolgreich Kolonisierten zu posieren. So galt der Nachkriegsdeutsche jeweils als notorisch unbelehrbar und als Weltanschauungs-Musterschüler.
    Vor Deutschland wurde in der Nachkriegszeit so beflissen gewarnt, dass man denken musste, es gelte, die Deutschen vor sich selbst zu retten, und als sei der gesamte Truppenaufmarsch in Europa allein zu diesem Zweck erfolgt. Die Front des Kalten Kriegs verlief nicht nur zwischen Ost und West, eine Kalte-Bürgerkriegs-Front zog sich durch die deutsche Gesellschaft. Zahlreiche Schriftsteller mischten sich regelmäßig unter die Warnungsträger. An den einschlägigen Infoständen leistete man jahrzehntelang seine Unterschrift auf die jeweils vorliegende Selbstbezichtigung. Zuletzt, als die Mauer schon gefallen war, liefen Vermummte in den Fußgängerzonen hin und her und riefen: Nie wieder Deutschland!
    An ihnen vorbei aber marschierten geschäftige Kolonnen, die aus dem Bauhaus-Markt kamen und nach Hause eilten, mit Gipstöpfen und Holzwolle bewaffnet, um ihre Datschen für den ersten gesamtdeutschen Winter abzudichten. Nie wieder Deutschland?
    Selbst wenn alles Deutsche auf klitzekleine Sekundärtugenden reduziert war, auf Fleiß, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit, die man auch noch milde belächeln konnte, und es möglich oder gar nötig gewesen sein sollte, sich sein Vaterland durch Soziologie zu erklären, von Max Horkheimer bis Arnold Gehlen, von Helmut Schelsky bis Jürgen Habermas, war da nicht doch etwas, was die Herren Diskursverwalter und Begriffsdesigner übersehen hatten?
    Von den selbst ernannten Mahnwachen einer moralisch hochgerüsteten Öffentlichkeit einmal abgesehen, sprach man sogar in den unduldsamsten 68er Abrechnungsformeln immer noch von Deutschland. Die, die BRD sagten, egal wie wichtig sie sich dabei vorkamen, blieben stets in der Minderheit.
    Wahr aber ist auch, dass Deutschland in den Köpfen eine immer ungenauere Form annahm. Die einen, die Älteren, die, die immer noch das Sagen hatten, meinten mit Deutschland das Reichsgebiet in den Grenzen von 1937. Das war auch die offizielle Sprachregelung der unmittelbaren Nachkriegszeit, als man Landkarten verwendete, die einen Anspruch veranschaulichen sollten, der die Phantasie der Geschlagenen anzuregen vermochte, dafür aber zur realen Grenzziehung wenig auszusagen hatte. In dieser Vorstellung gab

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