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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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Verträge die deutschen Grenzen, auch das kulturelle Gedächtnis redet mit.
    Deutschland wird auch in Zukunft zwei Arten von Landkarten haben. Die topographischen und die der kulturellen Imagination. Entscheidend ist auch weiterhin die Imagination. Sie stellt nicht die Besitzfrage, sie stellt die Frage nach dem Eigenen. Das Topographische hingegen meint die gesetzte Grenze. Sie zu überschreiten ist ebenso banal wie ihre Sicherung.
    Aufschlussreicher ist noch etwas ganz anderes, der Limes. Er geht mitten durch Deutschland und meint bis heute die römische Kultur. Er verkörpert eine Kulturgrenze, auf deren beiden Seiten wir uns als Deutsche wiederfinden. Den Unterschied zwischen Regensburg und Rostock sieht man auf den ersten Blick, maßgeblich aber ist der zweite. Deutschland ist mehr als sein Territorium. Das ist nicht zuletzt daran zu erkennen, dass viele der Grenzen zu den Nachbarstaaten wie Regionalgrenzen aussehen. Als würde man bei der Grenzüberschreitung bloß den Dialekt wechseln.
    Im Deutschen gibt es kein eigenes Wort für den Begriff »Grenze«. Grenze kommt aus dem Slawischen. Limes wiederum ist lateinischen Ursprungs und bezeichnet die Reichweite Roms, des Imperiums. Entscheidend für das Verhalten der Deutschen ist vielmehr ihr Freiheitsbegriff. Die Neigung, ihn als kollektive Antriebskraft einzusetzen. Dem Trotz, der bis heute im Lied steckt, wenn einer singt: »Die Gedankens sind frei!«, haftet für alle Zeiten etwas Kämpferisches an. Etwas, das weder der Limes noch Bonifatius, der den Germanen die Botschaft des Christentums brachte, überwinden konnten. Der deutsche Mars steht nicht im Zeichen des Zorns, er steht im Zeichen des Trotzes. Es ist ein Angelpunkt der deutschen Seele, der das Made in Germany möglich machte, aber auch das post-1848er »Trotz alledem!« eines Ferdinand Freiligrath.
    Die Anmaßung der Deutschen, nach den dunklen Jahrhunderten, die dem Zerfall des Römischen Imperiums folgten, die Nachfolge zu beanspruchen, ist wahrlich nicht folgenlos geblieben. Es hat die bisweilen gefährlich obsessive Idee verstärkt, man sei mehr als nur ein Volk, mehr als nur ein ganz gewöhnliches Staatswesen. Es hat aber auch jene lose Form der Kollektivität gefunden, die bis heute in den föderalen Strukturen Deutschlands zum Ausdruck kommt. Deutschland kennt viele und vielerlei Grenzen. Grenzfragen aber gibt es keine mehr. Alles, was mit den Nachbarvölkern zu regeln war, ist zumindest völkerrechtlich geregelt. Den Rest garantiert die EU.
    Wie sieht eigentlich die Karte der Deutschen heute aus? Zunächst einmal ist es eine Wetterkarte, die der Deutsche am Morgen im Fernsehen zu Gesicht bekommt. Auf ihr ist nur Inland zu sehen. Man sieht, wo’s regnet in Deutschland und wo die Sonne zu scheinen beliebt. Danach erst, sozusagen nach dem Frühstück, treten mehr oder weniger diskret die Nachbarvölker in Erscheinung. Das hat entweder politische oder touristische Gründe. Paris liegt nebenan, aber Paris ist Paris, London ist schon etwas weiter. Es liegt, wie man früher sagte, hinter dem Ärmelkanal. Man muss sich schon für das Königshaus interessieren, um der Sache wirklich näherzukommen. Es ist zwar Verwandtschaft, aber von Wilhelm dem Zwoten. Ach ja, die Briten!
    In die Niederlande fahren wir schnell mal zum Supermarkt, und in Belgien kaufen wir ein Haus. In diesem Jahr machen wir Urlaub in der Schweiz. Das ist zugegeben ungewöhnlich, aber wir hatten einfach mal Lust auf ein Chalet. Auf das Wohngefühl am Berg. Danach wandern wir ein paar Tage in Österreich, aber ist das wirklich Ausland?
    Höchstens Wien, das ist Ausland, selbst wenn man nicht von Norderney kommen sollte.
    Und schon geht’s weiter.
    Jetzt kommt man ja überall hin und wird überall mit dem Euro übers Ohr gehauen. Von Wien aus geht’s in die Zahnklinik nach Sopron und danach mal kurz hinüber nach Bratislava, Donau gucken.
    Sind ja alles nicht wirklich Nachbarn, aber Made in Germany liegt jetzt wieder mitten in Europa. Damit ist man auch schon in Polen. In den Masuren und in den Beskiden. Wo der Wolf seine Rückkehr nach Deutschland vorbereitet, und wir waren dabei!
    Einmal um Deutschland herum. Nichts leichter als das! Überall die offenen Grenzen, man gewöhnt sich so schnell daran. Was ist heute eigentlich noch Ausland? Magdeburg, hätte man in den 9oern gesagt. Mecklenburg. Macpom. Alles Geschichte. Alles Geschichten. Aber Ausland? Wo denn? Jetzt haben wir doch glatt die Dänen vergessen!
    Macht nichts, dafür

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