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Die Diagnose: Thriller (German Edition)

Die Diagnose: Thriller (German Edition)

Titel: Die Diagnose: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Gapper
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schütteln konnte, gab sie mir einen Kuss auf die Wange. Er hinterließ einen angenehmen Eindruck von weicher Haut und teurem Duft.
    »Wie geht es Ihrem Vater? Ich habe mir Sorgen um ihn gemacht«, sagte sie und bedeutete mir, mich auf einem der Sofas niederzulassen. Ihre Besorgnis kam mir höchst unwahrscheinlich vor, denn sie war ihm nie begegnet und kannte mich kaum. Trotzdem klangen ihre Worte ehrlich.
    »Es geht ihm gut, danke. Ich glaube, wenn er sich an den Rat der Ärzte hält, kann er wieder auf die Beine kommen.«
    Nora lächelte wissend. »Männer im mittleren Alter dazu zu bringen zu tun, was man ihnen sagt, kann ganz schön hart sein, nicht wahr?«
    Es fiel mir schwer, ihr zu widersprechen, doch nach der Art und Weise, wie ich hierhergebracht worden war, hatte ich das Gefühl, ich müsste einen Teil meiner Autorität wiederherstellen. Also versuchte ich, einen strengen Ton anzuschlagen.
    »Es war sehr freundlich von Ihnen, den Flug zu arrangieren, aber ich bin davon ausgegangen, dass ich Mr Shapiro in New York sehen würde, wie wir es besprochen hatten.«
    Nora verzog verlegen das Gesicht. »Es tut mir leid. Harry wollte herkommen, um sich auszuruhen, und ich wollte ihn nicht aufregen. Das verstehen Sie hoffentlich. Möchten Sie ihn jetzt sehen?«
    Vom Wohnzimmer ging ich durch den Wintergarten raus auf den Rasen. Es war ein seliges Gefühl, aus diesem wohlgeordneten Haus in die Unendlichkeit der Natur zu treten, während mir vom Ozean her die Brise ins Gesicht wehte. Harry hatte mir den Rücken zugewandt und las, eine Halbbrille auf der Nase, ein Buch. Als ich zu ihm trat, blickte er auf und musterte eine Weile mein Gesicht. Seine Miene war angespannt, aber nicht mehr so unruhig wie bei unserer letzten Begegnung.
    »Setzen Sie sich«, sagte er.
    Um einen niedrigen Tisch standen drei oder vier weiche Sessel mit Kissen. Ich sah mich nach einer festeren Sitzgelegenheit um − etwas, das Formalität andeutete −, doch es war nichts in Sicht, also ließ ich mich in einem Sessel nieder. Ich versuchte es zu kompensieren, indem ich mich vorn auf die Kante setzte und die Hände verschränkte.
    »Setzen Sie sich da rüber, damit ich Sie sehen kann«, wies Harry mich an.
    Ich zog den Sessel auf den Fleck, auf den er zeigte, und stellte fest, dass ich die Augen zusammenkneifen musste, um ihn im Gegenlicht sehen zu können. Vermutlich eine bewährte Strategie. Es ärgerte mich, doch es war immerhin ermutigend, dass Harry wieder zu solchen Spielchen griff.
    »Wie ist es Ihnen ergangen, Mr Shapiro?«, fragte ich.
    Auf der Lehne seines Sessels stand eine Tasse Tee, und er zog ein paarmal am Faden des Teebeutels, während er über die Frage nachdachte. Dann lachte er bitter. »Ich hatte schon bessere Wochen. Versuchen Sie mal damit klarzukommen, dass Sie eingesperrt sind, dass Ihnen jeden Morgen der Rasierapparat wieder weggenommen wird und nachts jemand mit einer Taschenlampe in Ihr Zimmer leuchtet.«
    »Patienten finden die Vorsichtsmaßregeln oft schwer zu akzeptieren, aber es gibt gute Gründe dafür.«
    »Für manche Menschen vielleicht. Nicht für mich.«
    Er hantierte noch ein bisschen mit dem Teebeutel herum und richtete den Blick hinaus aufs Meer. Er sprach schneller als im Krankenhaus, was ein gutes Zeichen war − die psychomotorische Verlangsamung ließ nach, während sein Gehirn wieder besser funktionierte.
    »Wie geht es Ihnen?«
    »Ich habe mehr geschlafen.«
    »Sie hatten keine Gedanken an den Tod?«
    Er sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, als verstünde er nicht, worauf ich hinauswollte. Dann runzelte er die Stirn und senkte den Blick auf den Rasen.
    »Ich werde mich nicht umbringen.«
    Er hatte mir bei seinen Worten nicht in die Augen gesehen, doch es war immerhin ein klares Statement, wie er es bis dahin nicht abgegeben hatte. Gut. Harry drückte sich hoch und schaute über den Rasen dorthin, wo Blumenbeete den Rand der Düne säumten. »Gehen wir ein bisschen spazieren«, sagte er und steuerte auf eine Lücke zwischen den Beeten zu, durch die ein Holzsteg führte.
    Als ich ihm folgte, sah ich, dass eine Treppe von hier durch die Dünen zu einer Reihe rissiger, verwitterter Bohlen führte, die sich als Pfad durch Dünen und Seegras wanden, bis sie nach knapp dreißig Metern ausliefen und nur noch ein Sandweg zum Strand führte. Es war ein wunderbarer Ort für Kinder, um Verstecken zu spielen, ein amorphes Territorium zwischen Behausung und Natur. Schweigend gingen wir die Stufen hinunter, die

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