Die Diagnose: Thriller (German Edition)
Hendersons Gesicht den ganzen Bildschirm. Entweder war er nicht ehrlich gewesen oder Harry. Bei unserem Strandspaziergang hatte Harry darauf beharrt, dass das Finanzministerium seinen Kopf verlangt hatte, doch der Mann, der dafür verantwortlich war, hatte es gerade munter geleugnet – es sei eine Entscheidung des Verwaltungsrats von Seligman gewesen, er selbst nur ein unbeteiligter Zuschauer.
Ich vertraute Harry nicht, und dies war das erste Mal, dass ich einen Blick auf Tom Henderson geworfen hatte, doch ich betrachtete seine kühle, betont unschuldige Miene und dachte: Du lügst .
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Meine Aufgabe ist es, nett zu nervigen Zeitgenossen zu sein – Menschen in seltsamen Gemütszuständen, die sich seltsam benehmen, die Probleme haben und sich infolgedessen anderen gegenüber nicht angemessen verhalten. Mit keinem ist der Umgang so schwierig wie mit jemandem, der unter Depressionen leidet und sich vollkommen in sich zurückgezogen hat. Wir sind wie Freunde, aber Freunde, die sich nicht langweilen oder frustriert sind und versuchen, das Thema zu wechseln.
So betrachte ich es, auch wenn es nach medizinischen Maßstäben eine schlecht bezahlte Arbeit ist. Fünfundvierzig Minuten jemandem zuzuhören und dafür 400 Dollar zu verlangen klingt okay, aber man wird dabei nicht so reich wie mit plastischer Chirurgie. Aber mein Berufsstand verliert sein Profil und überlässt es Psychologen mit ihrer schönrednerischen kognitiven Verhaltenstherapie, die Menschen mittels Bewertungsbögen davon überzeugen, dass sie sich zu viele Sorgen machen. Es ist wesentlich zeitsparender, pharmakologische Psychiatrie zu betreiben und in fünfzehnminütigen Einheiten Pillen auszuhändigen, die in die Gehirnchemie eingreifen. Diese Patientin hat Probleme mit dem Transportergen, was zu einem Serotoninungleichgewicht führt. Gib ihr einfach einen Wiederaufnahmehemmer, und bald ist sie wieder wie neu. Wenn das nicht funktioniert, probier es mit einem anderen Mittelchen oder kombinier es mit einer Lithiumtherapie. Es gibt eine unendliche Vielzahl von Kombinationsmöglichkeiten verschiedenster Präparate, bevor man sich die Niederlage eingestehen muss.
Manche Assistenzärzte würden am liebsten sämtliche Therapien in den Wind schießen, und es gibt kaum Beweise dafür, dass sie funktionieren, aber es wird sich auch kein Pharmakonzern finden, der solche Forschungen finanziert, also, wer weiß? Sollen wir Menschen leiden lassen, nur weil ihre Stimmungen wissenschaftlich nicht messbar sind? Es ist eine Frage der Persönlichkeit – der Psychiater, meine ich, nicht der Patienten. Diese Art der Therapie entspricht mir, auch wenn es eine aussterbende Form der Medizin ist. Ich sitze gern da und höre zu und versuche, das Neueste, was ein Patient mir erzählt, mit dem in Einklang zu bringen, was er früher gesagt hat, oder, im Fall eines neuen Patienten, seine Maske zu durchdringen.
Die Nachmittagssonne spiegelte sich in den Fenstern eines nahen Wohnblocks, und ich ließ die Rollos hinter mir herunter, damit Lauren nicht geblendet wurde.
»Erzählen Sie mir von Ihrer Arbeit«, sagte ich.
»Ich bin Partnerin in einem Unternehmen, von dem Sie wahrscheinlich noch nie etwas gehört haben, Fleming Dupont. Davor war ich bei Seligman Brothers.«
»Von denen habe ich schon gehört.«
Sie lächelte. Sie hatte alles unter Kontrolle. »Das will ich meinen. Die waren schließlich in allen Nachrichten. Sie möchten etwas über meine Arbeit wissen. Was fällt Ihnen an mir auf?«
»Was meinen Sie damit?«
»Was ich trage«, sagte sie ungeduldig. »Wie ich aussehe.«
Ich ließ den Blick von ihrem Gesicht nach unten bis zu ihren Schuhen wandern und wieder zurück. Sie sah kaum anders aus als beim ersten Mal: Ihr Make-up war makellos, ihre braunen Haare waren ein wenig strenger an der Seite festgesteckt, und sie trug einen ähnlichen Hosenanzug. Ihre Bluse hatte große Perlmuttknöpfe und keine Knitterfalten. Wie beim letzten Mal war ihre Kleidung so exzellent geschnitten, dass sie betont zurückhaltend war und doch einen Hauch Weiblichkeit andeutete.
»Professionell«, sagte ich.
»Was Sie meinen, ist, dass ich gekleidet bin wie ein Mann«, zögerte sie keinen Augenblick, mein Urteil umzuformulieren. »Schwarzer Hosenanzug und Pumps, kein Ausschnitt. Ich trage eine Uniform. Ich trage jeden Tag dasselbe verdammte Outfit. Ein Armani-Hosenanzug nach dem nächsten.«
»Wollen Sie damit Ihre Kunden beeindrucken?«
»Ich glaube, denen ist das schnurzegal.
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