Die Diagnose: Thriller (German Edition)
nicht.«
»Normalerweise kommen die Patienten doch zu Ihnen ins Krankenhaus, oder? Nicht so Mr Shapiro. Sie haben ihn in seinem Haus in East Hampton aufgesucht. Und dafür ist Ihnen im Gegenzug eine Sonderbehandlung zuteilgeworden. Sie haben ihm geholfen, und er hat Sie dafür in seinem Privatflugzeug nach London geflogen, nicht wahr?«
Ein Jurymitglied schnappte nach Luft, als er das sagte, und ein anderes kritzelte etwas auf ein Blatt Papier. Mein Kopf wurde leer, und ich suchte verzweifelt nach einem Weg zu erklären, warum ich diesen Flug mit der Gulfstream angenommen hatte. Ich habe Harry beschützen wollen. Er hätte im Krankenhaus bleiben müssen. Doch man hatte mir gesagt, ich müsse ihn entlassen. Ich hatte keine Schuld. Nach einigen endlosen Sekunden konzentrierte ich mich wieder und rang mir, während alle im Raum mich anstarrten, mühsam eine Erklärung ab.
»Mein Vater war krank geworden, und ich musste zu ihm. Mrs Shapiro bot mir den Flug an, damit ich den verabredeten Termin mit ihrem Mann nicht versäumte. Ich dachte, es sei eine gute Idee.«
»Sie sagen, Mr Shapiro war labil? Sie haben ihn entlassen, aber Sie haben sich trotzdem Sorgen um ihn gemacht?«
»Ich wollte ganz sichergehen.«
Die Halbwahrheit, die ich gerade über Harrys Entlassung von mir gegeben hatte, ließ es so aussehen, als hätte ich mich schändlich der Verletzung der ärztlichen Sorgfaltspflicht schuldig gemacht. Das war’s , dachte ich, als Baer eine Pause machte, damit die Jury meine Aussage verdauen konnte . Was auch immer Duncan tut, meine Karriere ist erledigt .
»Sie haben alles gemacht, was Shapiro wollte, weil er Sie gekauft hat. Er hatte Sie am Gängelband, nicht wahr?«
»So war das nicht«, murmelte ich, ohne ihn anzusehen. Mein Gesicht war gerötet, und zwei Frauen mittleren Alters betrachteten mich mitfühlend, als wäre es ein einseitiger Boxkampf, dem man Einhalt gebieten sollte.
»Vielen Dank, Doktor«, sagte Baer, der die Stimmung spürte und seine Befragung an dieser Stelle geschickt zu Ende brachte.
Joe saß draußen auf einer niedrigen Bank an einem Fenster und erledigte Korrespondenz auf einem BlackBerry. »Gut gelaufen?«, fragte er strahlend.
Ich brachte es nicht über mich, ihm zu erzählen, was gerade passiert war − mir schwirrte noch der Kopf. Wir gingen zu Baers Büro, wohin mein Peiniger uns nach der Anhörung noch zu einem Gespräch eingeladen hatte. Als wir hereinkamen, hatte er das Jackett ausgezogen und zwei Knöpfe seiner Weste geöffnet. Er wirkte zufrieden.
»Ich hoffe, Sie denken nicht, ich bin zu hart mit Ihnen umgesprungen, Doktor. Ich wollte nur ein paar Fakten klären«, sagte er und schüttelte Joe die Hand.
Joe zuckte sichtlich zusammen, als ihm aufging, dass außerhalb seines Einflussbereichs gerade etwas Unschönes vorgefallen war. »Und als Nächstes?«, fragte er Baer und kam rasch zu dem kritischen Punkt.
»Wir werden sehen. Wir können Dr. Cowpers Aussage vor der Grand Jury vorerst unter Verschluss halten und der Verteidigung nicht sofort zukommen lassen. Ich will ihm nicht mehr Schwierigkeiten machen, als nötig ist. Aber wir beide sollten uns darüber unterhalten, wie er uns helfen kann und ob er jetzt bereit ist zu kooperieren. Wollen wir uns ein wenig die Füße vertreten?«
Ich saß in Joes Auto und beobachtete ihn und Baer durch die Windschutzscheibe in etwa hundert Meter Entfernung miteinander verhandeln, ihre Gestalten kaum mehr als Umrisse vor den grauen Gefängnismauern. Ich konnte nicht hören, was sie sagten, doch ich bekam ein Gefühl dafür, weil ich Baers Gesten registrierte und Joes ernstes, entgegenkommendes Nicken, als sie nebeneinander hergingen.
Sie sahen aus wie das, was sie waren – zwei Profis, die das öffentliche In-Szene-Setzen hinter sich gelassen hatten und einen Deal aushandelten. Ich war immer noch erschüttert ob der traumatischen Wendung der Anhörung, und ich wollte nur noch so weit wie möglich fort von diesem Ort mit seinen unschönen Assoziationen, doch Joe hatte mich gebeten zu warten. Mir kam in den Sinn, dass Harry in dem Gefängnis, das über ihnen aufragte, womöglich gerade Karten spielte oder Gewichte stemmte. Nachdem sie sich zwanzig Minuten unterhalten hatten, sah ich, wie sie einander die Hand schüttelten. Baer eilte in die Staatsanwaltschaft, und Joe wandte sich zu mir um. Er hielt den Kopf im Gehen gesenkt und wirkte grimmig und nachdenklich. Als er sich dem Wagen näherte, schaute er auf und lächelte, doch es
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