Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition)
nervös.
Also teilte ich der Ärztin mit, dass ich ab sofort auf diese Routineuntersuchungen verzichten wolle. Sie war einverstanden, erklärte aber, in diesem Fall müsse ich die Folgen tragen (jetzt musste ich also mit der Furcht vor einer Frühgeburt leben und mit Schuldgefühlen rechnen, falls es dazu kommen sollte, denn ich hatte ja eine Überwachung abgelehnt). Natürlich kennt die Medizin derzeit kein wirksames Mittel, um Frühgeburten zu verhindern; deshalb ist schwer zu verstehen, wie die Untersuchungen mir hätten helfen sollen. Trotzdem fühlte ich mich nun verwundbarer, weil ich einen ärztlichen Rat ausgeschlagen hatte.
Nachdem ich eine Risikoüberwachung verweigert hatte, kehrte ich zur normalen Routine für Schwangere zurück: Ich wurde gewogen, und mein Blutzucker wurde gemessen. Erneut war meine Gynäkologin besorgt. Trotz meiner schlimmen Übelkeit mit Erbrechen nahm ich stark zu. (Steven versuchte, mir auf seine Art zu helfen – er sagte, ich brauche mir keine Sorgen zu machen, weil das Baby wahrscheinlich für mindestens dreieinhalb Pfund der fünfundvierzig Pfund verantwortlich sei, die ich zugelegt hatte.)
Außerhalb einer Schwangerschaft habe ich nie Gewichtsprobleme gehabt, und nach Emmas Geburt hatte ich rasch abgenommen. Aber meine Gynäkologin warnte mich vor den Gefahren eines zu hohen Gewichts und erklärte mir, wie ich Kalorien vermeiden könne. Ich begann mich wieder unwohl zu fühlen. Dann empfahl sie mir einen Glukosetoleranztest – obwohl mein Zuckerspiegel normal war. Der Test werde mir sagen, ob für mich während der Schwangerschaft ein Diabetesrisiko bestehe.
Da ich einiges über Glukosetests und ihren unklaren Nutzen gelesen hatte, fragte ich, ob das wirklich nötig sei. Sie hielt mich für verrückt: »Sie haben so stark zugenommen, und trotz Ihrer Risikoschwangerschaft verweigern Sie regelmäßige Kontrollen. Jetzt wollen Sie auch noch auf den Glukosetoleranztest verzichten. Ist Ihr Kind Ihnen egal?«
Au! Das war eine Beleidigung. Nicht viel anders erging es Bretz im Jahr 1927. Lisa machte den Test. Er war normal, ebenso wie ihr Sohn Eli nach seiner termingerechten Geburt. Alles nahm also ein gutes Ende. Aber im Rückblick war ihre Schwangerschaft eine Zeit, in der sie als krank galt und in der sie Angst hatte – vor dem, was geschehen konnte, und vor dem Etikett »schwierige Patientin«. Lisas Geschichte zeigt, mit welchem Widerstand Patienten rechnen müssen, wenn sie beschließen, auf Vorsorgeuntersuchungen zu verzichten. Für Ärzte ist es leicht, ihren Patienten Angst einzujagen, wenn sie Untersuchungen ablehnen. Aber das bedeutet nicht, dass die Patienten einen gefährlichen Kurs einschlagen. Obwohl manche Ärzte die Nachteile von Untersuchungen – unter anderem den Zeitaufwand, die Unannehmlichkeiten, die emotionale Belastung und körperliche Schäden – herunterspielen, sind diese Nachteile sehr real.
Nicht alle Ärzte verhalten sich so wie Lisas Geburtshelferin. Viele sind aufgeschlossener, als Sie vielleicht erwarten, wenn Patienten gegenüber Diagnosen zurückhaltend sind. Denken Sie daran, wir gehen davon aus, dass unsere Patienten untersucht werden wollen – das heißt, dass sie nach Krankheiten suchen wollen. Wer das nicht will, sollte seinen Arzt anweisen, nicht willkürlich nach Anomalien zu suchen. Das gilt nicht nur für das Screening, sondern auch für Bestrebungen, die genaue Ursache kleiner Probleme herauszufinden (dabei stolpern wir oft über Anomalien, die wiederum zu Überdiagnosen führen). Ein Patient, der etwas zurückhaltender ist, gilt bei Ärzten vielleicht gar nicht als »schwierig«, sondern als erfrischend. Sowohl Ärzte als auch Patienten sollten lernen, dass es erlaubt ist, Untersuchungen abzulehnen.
Vorbeugung ist mehr als Früherkennung
Einer der Gründe dafür, dass es so schwierig ist, gegenüber der Früherkennung kritischer zu sein, liegt darin, dass frühe Diagnosen zum Synonym für Vorbeugung geworden sind. Viele Menschen halten die vorbeugende Medizin für uneingeschränkt gut – darum muss auch die Früherkennung uneingeschränkt gut sein. Und es ist schwierig, etwas anzuzweifeln, was als uneingeschränkt positiv gilt. Darum ist es wichtig, sich klar zu machen, dass die Früherkennung nur ein Aspekt der vorbeugenden Medizin ist. Manche würden sogar behaupten, sie habe gar nichts mit Vorbeugung zu tun, weil ihr einziger Zweck darin bestehe, Krankheiten zu entdecken, nicht, sie zu verhindern. Natürlich wollen die
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