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Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition)

Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition)

Titel: Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. Gilbert Welch , Lisa M. Schwartz , Steven Woloshin
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Angina und plötzlicher Herztod) sank, wenn der damals als normal geltende Cholesterinwert von 228 auf 184 (Durchschnittswerte) gesenkt wurde. Im Laufe von fünf Jahren trat bei etwa 5 Prozent der Patienten mit unbehandeltem normalem Cholesterinwert eines dieser Ereignisse ein. Wurde der normale Cholesterinwert behandelt, kam es nur bei 3 Prozent der Patienten zu einem derartigen Zwischenfall. 8 Die Chance, von der Behandlung zu profitieren, betrug somit 2 Prozent (5 Prozent minus 3 Prozent). 9 Wenn hundert Patienten fünf Jahre lang behandelt wurden, ging es also zwei von ihnen besser, den achtundneunzig anderen aber nicht.
    Ganz plötzlich fiel der Grenzwert für anormales Gesamtcholesterin von größer 240 auf größer 200. Dieser Wandel betraf viele Menschen – zusätzliche zweiundvierzig Millionen »neue Fälle« mit zu hohem Gesamtcholesterinspiegel. 10 Zweiundvierzig Millionen Menschen – das ist eine große Zahl. Vielleicht stellen Sie die berechtigte Frage, warum so viele Menschen betroffen waren. Abbildung 2.2 auf der nächsten Seite zeigt das Muster des Cholesterinspiegels bei amerikanischen Erwachsenen (Statistiker nennen das »Verteilung des Cholesterins in der Bevölkerung«). Ein Cholesterinspiegel von 200 liegt fast genau in der Mitte. Das ist ziemlich genau der Durchschnittswert für erwachsene Amerikaner. Wenn wir den Grenzwert so nahe an den Durchschnitt verschieben, verändert sich die Zahl der für krank erklärten Menschen drastisch.
    Vielleicht ist Ihnen an Abbildung 2.2 noch etwas aufgefallen: Es gibt viel mehr Menschen mit einem Cholesterinspiegel zwischen 200 und 240 als mit einem Cholesterinspiegel zwischen 240 und 280. Und es gibt mehr Menschen mit einem Cholesterinspiegel zwischen 240 und 280 als solche mit einem Cholesterinspiegel zwischen 280 und 320. Mit anderen Worten: Ein leicht erhöhter Cholesterinspiegel kommt viel häufiger vor als ein stark erhöhter. Das gilt für jede in diesem Kapitel beschriebene Krankheit. Eine scheinbar kleine Veränderung des Grenzwerts kann also die Zahl der Menschen, aus denen plötzlich Patienten werden, enorm vergrößern. Wie beim Diabetes und beim Bluthochdruck profitieren Menschen mit leicht erhöhtem Cholesterinspiegel weniger von einer Behandlung als jene mit stark erhöhten Werten. Die Senkung des Grenzwerts, der noch als normal gilt, macht nicht nur zahlreiche Menschen zu Patienten, sondern produziert auch Patienten mit der mildesten Form der Krankheit.
    Dann haben wir noch die Osteoporose. Meine Studienkollegen und ich denken oft an die Frühdiagnose der Osteoporose an der Universität. Diese klinische Diagnose war Patienten vorbehalten, die Symptome aufwiesen, meist schmerzhafte, spontane Brüche der Wirbelsäule (Wirbelkompressionsfrakturen). Osteoporose wird in der Umgangssprache oft »Knochenerweichung« genannt. Wörtlich bedeutet der Begriff, dass die Knochen (altgriechisch ostoun ) poröser werden. Das ist unvermeidlich, wenn wir älter werden. Allerdings spielt sich dieser Prozess bei manchen Menschen schneller ab als bei anderen, und da wir offen gestanden keine zuverlässige Methode hatten, ihn zu messen, konzentrierten wir uns auf die klinischen Folgen.

    Abbildung 2.2 Verteilung des Cholesterinspiegels bei erwachsenen Amerikanern und die Folgen der Senkung des Grenzwerts von 240 auf 200
    Dann wurde die Knochenmineraldichtemessung entwickelt. Das ist eine Röntgenuntersuchung eines bestimmten Knochens (meist Wirbelsäule, Hüfte oder Handgelenk). Aber sie wird nicht benutzt, um festzustellen, ob der Knochen gebrochen ist. Gemessen wird nur die Dichte des Knochens, also wie viel Knochensubstanz vorhanden ist. 11 Dieser Test ermöglichte es uns, anhand des T-Wertes zu bestimmen, wie dicht die Knochen eines Patienten waren. Der T-Wert vergleicht die Knochendichte mit einer »Norm« – der durchschnittlichen Knochendichte weißer Frauen im Alter zwischen zwanzig und neunundzwanzig Jahren (bei der Osteoporose stehen traditionell Frauen im Mittelpunkt). Wenn Sie die gleiche Knochendichte haben wie eine typische zwanzig- bis neunundzwanzigjährige weiße Frau – unabhängig von Ihrem Alter und Ihrer ethnischen Herkunft – haben Sie den T-Wert 0. Sind Ihre Knochen erheblich dichter als im Durchschnitt, können Sie einen T-Wert bis 3 haben. 12 Wenn Ihre Knochen deutlich dünner sind als im Durchschnitt, können Sie einen T-Wert bis -3 haben.
    Negative Zahlen machen die Situation schwieriger; darum ist es bedauerlich, dass die

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